Die Lilie im Tal (German Edition)
Königin zu dienen. Gott lohnte mir's. Der geheime Bote der Vendée konnte nicht nach Frankreich zurückkehren; der König suchte nach einem Mann, der es auf sieh nehme, seine Weisungen dorthin zu überbringen. Der Duc de Lenoncourt wußte, daß der König den nicht vergäße, der diese gefahrvolle Sendung wagte. Ohne mich auch nur gefragt zu haben, setzte er es durch, daß ich mit dem Auftrag betraut wurde, und ich willigte ein, überglücklich, nach Clochegourde zurückzukehren und gleichzeitig der guten Sache zu dienen.
Nachdem ich schon in meinem einundzwanzigsten Jahre eine Audienz beim König erhalten hatte, kehrte ich nun nach Frankreich zurück und hatte teils in Paris, teils in der Vendée das Glück, die Absichten Seiner Majestät zu fördern. Gegen Ende Mai wurde ich von den bonapartistischen Behörden, die auf mich aufmerksam gemacht waren, verfolgt und war gezwungen, zu fliehen, im Aufzug eines Wanderers, der in seine Heimat zurückkehrt. Zu Fuß durchschritt ich eine Landschaft nach der andern, einen Wald nach dem andern, ich durchquerte die Haute Vendée, den Bocage und Poitou, ich schlug bald diesen, bald jenen Weg ein, ganz wie meine Sicherheit es gebot. Ich erreichte Saumur, von hier kam ich nach Chinon, und von Chinon gelangte ich in einer einzigen Nacht in die Wälder von Nueil, wo ich den Comte zu Pferde in der Heide traf. Er ließ mich hinten aufsitzen und brachte mich nach Hause, ohne daß wir jemandem begegnet wären, der mich hätte erkennen können.
»Jacques geht es besser!« war sein erstes Wort.
Ich schilderte ihm meine Lage als die eines diplomatischen Landstreichers, der wie ein Wild umstellt sei, und der Edelmann wappnete sich mit Königstreue, um Monsieur de Chessel die Gefahr, mich aufzunehmen, streitig zu machen. Als ich Clochegourde erblickte, war es mir, als seien die letztverflossenen acht Monate nur ein Traum gewesen. Der Comte eilte mir voraus und sagte seiner Frau: »Raten Sie, wen ich Ihnen bringe? ... Felix!« – »Ist es möglich?« fragte sie mit schlaffen Armen und einem vor Erstaunen starren Gesicht.
Ich trat ein, und wir blieben beide wortlos, ohne uns zu rühren, sie in ihrem Sessel, ich auf der Türschwelle, und sahen einander mit dem gierig starren Blick der Liebenden an, die in einer Sekunde die ganze verlorene Zeit zurückgewinnen wollen. Aber bald schämte sie sich einer Bestürzung, die ihr Inneres entschleiert hatte. Sie stand auf. Ich ging auf sie zu.
»Ich habe viel für Sie gebetet«, sagte sie, nachdem sie mir die Hand zum Kusse gereicht hatte.
Sie fragte nach ihrem Vater; dann erriet sie meine Müdigkeit und ging, um mir ein Lager zu bereiten, indes der Comte Essen bringen ließ; ich war halb verhungert. Mein Zimmer befand sich über dem ihren, es war das Zimmer ihrer Tante. Sie ließ mich durch den Comte hinführen, nachdem sie schon den Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, unschlüssig, ob sie selbst mich begleiten solle. Ich wandte mich um, sie errötete, wünschte mir gute Ruhe und zog sich eilig zurück. Als ich zu Tisch herunterkam, erfuhr ich die Niederlage von Waterloo, die Flucht Napoleons, das Vorrücken der Verbündeten auf Paris und die wahrscheinliche Rückkehr der Bourbonen. Diese Ereignisse bedeuteten für den Comte alles, für uns nichts. Raten Sie, welche große Nachricht mir mitgeteilt wurde, nachdem ich die Kinder begrüßt hatte? – Denn von der Besorgnis, die mich erfüllte, als ich die Comtesse so blaß und abgehärmt sah, brauche ich wohl nicht zu sprechen; und dann wußte ich, welche Verheerungen ein Ausdruck der Verwunderung anrichten könnte; deshalb bezeugte ich nur Freude bei ihrem Anblick. Die große Nachricht für uns war: »Sie bekommen Eis!« Sie war letztes Jahr oft betrübt gewesen, mir nicht ganz frisches Wasser anbieten zu können. (In Ermangelung eines andern Getränks schätze ich eiskaltes Wasser.) Gott weiß, wie schwer es ihr gefallen sein mag, sich einen Eisschrank zu verschaffen. Sie wissen besser als irgend jemand, daß der Liebe ein Wort, ein Blick, ein Tonfall, eine scheinbar nur kleine Aufmerksamkeit genügt; ihr schönstes Vorrecht ist, sich selbst zu genügen. Nun denn, ihr Wort, ihr Blick, ihre Freude zeigten mir die Tiefe ihrer Gefühle, wie ich ihr früher meine ganze Liebe durch mein Verhalten beim Tricktrack bewiesen hatte. Sie gab mir so viele ursprüngliche Beweise von ihrer Zärtlichkeit. Am siebenten Tage nach meiner Ankunft sah sie wieder blühend aus. Sie sprühte von Gesundheit,
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