Die Lilie von Florenz
dafür war ihr Haar einfach zu kurz. Dennoch gefiel ihr, was sie sah. Leichte Röte überzog ihre Wangen. Die Aufregung â¦
Ein letztes Mal drehte sie sich vor dem Spiegel. Dann schlüpfte sie in die hübschen roten Seidenpantöffelchen mit chinesischer Stickerei und verlieà eilig das Zimmer.
Es hatte länger gedauert, sich anzukleiden. Vor der Tür zum Salon verharrte Allegra kurz und kam wieder zu Atem. Sie war es nicht mehr gewohnt, vom Mieder eingeschnürt zu werden, und in den letzten Wochen und Monaten hatte sie zu gerne die Freiheit genossen, die es bedeutete, tief durchzuatmen.
In dem Augenblick, als sie nach der Türklinke griff, hörte sie Stimmen.
Zwei männliche Stimmen.
Luigi und Matteo â¦
Allegra spürte ihr Herz bis zum Hals klopfen. Matteo! Am liebsten wäre sie allzu undamenhaft in den Salon gestürmt und hätte sich ihm an die Brust geworfen. Stattdessen lauschte sie mit angehaltenem Atem dem Gespräch der beiden Männer.
âAlso ist es ausgemacht. Ich werde das Darlehen meines Vaters in zwei Jahresraten begleichen.â
âAls Hochzeitstermin würde ich den Mai vorschlagen, also in gut drei Monaten. Was denkst du, Schwager?â, fragte Matteo. Seine Stimme klang erstaunlich munter, und im Stillen dankte Allegra dem Herrgott, dass es ihrem Geliebten wieder gut ging.
âIm Mai kann ich aus Rom kommen, dann ist die Opernsaison vorbei. Doch was wird in der Zwischenzeit mit Allegra â¦â
âIch nehme sie mit nach Florenz.â
Die Worte Matteos klangen so überzeugt, dass Allegra nicht glaubte, von Luigi könne ein Widerspruch kommen. Dennoch lauschte sie ängstlich. Was sollte sie tun, wenn Luigi diesen Vorschlag ablehnte? Wenn er darauf bestand, dass Allegra bis zur Hochzeit bei ihm in Rom bliebe?
Denn sie wollte Matteo keinen Moment mehr aus den Augen lassen â¦
Das Schweigen vor Luigis Antwort dehnte sich für die heimliche Lauscherin unendlich. SchlieÃlich hörte sie ihren Bruder antworten: âEinverstanden.â
Sie atmete auf.
Dies schien ihr der geeignete Zeitpunkt, um hinzuzukommen. Ein letztes Mal strich sie über den raschelnden Seidenrock ihres Kleids, ehe sie die hohe Tür öffnete und den Salon betrat.
Luigi und Matteo blickten auf. Doch Allegra hatte in diesem Moment nur Augen für Matteo, der sich sogleich erhob. Blass war er, und die Wunde an seiner Schläfe hatte den Verband rot durchnässt. Doch das Lächeln, das sein Gesicht nun erhellte, wog all ihre Sorge um sein Wohlbefinden auf. Er strahlte sie an â voller Liebe und Zuneigung. Er wirkte noch etwas wacklig, als er zwei Schritte auf sie zu machte, und er hielt sich an der Rückenlehne des Sessels fest, auf dem Luigi saÃ, der sich nun halb zu Allegra umdrehte.
Sie brauchten keine Worte. Allegra eilte Matteo entgegen und umfasste seine Hände. All ihre Selbstbeherrschung war verflogen, sie kannte keine Zweifel mehr.
âAlles wird gutâ, flüsterte sie.
Und in diesem Moment glaubte sie selbst daran.
Schnell war beschlossen, dass Allegra und Matteo schon am nächsten Tag nach Florenz aufbrechen würden. Solange es so erfrischend kalt war und die StraÃen vom Frost hart und noch nicht vom Tauwetter aufgeweicht, würden sie schnell voran kommen.
Lediglich der Abschied von Luigi fiel Allegra schwer. Doch sie stieg mit dem guten Gefühl in die Kutsche, ihren Bruder schon bald auf dem heimischen Landgut begrüÃen zu können. Sobald der Frühling kam, das hatte Matteo ihr versprochen, würden sie dorthin aufbrechen und das Haus nach den langen Wintermonaten wieder öffnen.
Zunächst aber war Florenz das Ziel ihrer Reise. Sie waren jeden Tag stundenlang in der engen Kutsche unterwegs, doch Allegra wurde die Zeit nicht zu lang. Manchmal genügte es ihr einfach, Matteo anzuschauen. Manchmal war es ihr genug, seine Hand zu halten, die ihre wärmte. Und manchmal ⦠ja. Manchmal genügte ihnen das nicht, und dann lieà Matteo schon am frühen Nachmittag Halt machen und Quartier in einem Gasthaus beziehen, wo sie meist erst in den Abendstunden aus ihrem Zimmer wieder auftauchten â erhitzt, zerzaust und strahlend.
So brauchten sie zwar etwas länger, bis sie endlich Florenz erreichten. Aber Matteo und Allegra genossen diese intime Zweisamkeit. Sie wussten beide, dass es damit in Florenz vorbei sein würde. Man würde Allegra bestaunen, und über ihre
Weitere Kostenlose Bücher