Die Lilie von Florenz
Allegras Arm. âWillst du dich nicht zu uns gesellen?â
Allegra schluckte. Ihre Haut kribbelte, und sie zögerte. Die beiden machten einen recht sympathischen Eindruck auf sie.
âEine gute Idee.â Der Mann beugte sich zu ihr herüber. âIhr seid herzlich eingeladen, an unserer kleinen Ausschweifung teilzunehmen â¦â
âIch weià nicht â¦â
âWenn Ihr möchtet, könnt Ihr auch einfach zusehen ⦠Wusstet Ihr das? Wenn man die Zimmertür offen lässt, lädt man die anderen Gäste ein, sich zum Zuschauen dazuzugesellen â¦â
Das war ihr neu, aber es war gut zu wissen.
âDanke, vielleicht ein anderes Malâ, stotterte Allegra. Sie schob sich an dem Paar vorbei und verlieà beinahe fluchtartig das Zimmer. Der Gang lag verwaist vor ihr. Manche Tür stand offen, und als Allegra sich wie im Traum zum anderen Ende des Flurs bewegte, wo hinter einer Biegung weitere Räume darauf warteten, entdeckt zu werden, verlangsamte sie hin und wieder ihre Schritte, um in die Räume hinter den offenen Türen zu blicken.
Cristina wedelte hektisch mit ihrem Fächer. Sie kochte vor unterdrückter Wut. Matteo hatte sie begrüÃt, als wäre sie eine Fremde, allenfalls eine Freundin, die er hin und wieder auf Soireen und Bällen sah. Nichts an seinem Verhalten lieà sie spüren, dass sie etwas Besonderes für ihn war.
Sie lieà ihren Mann, der diese Art von Ausschweifungen verabscheute, mit ein paar älteren Männern im Ballsaal stehen. Sie wollte Matteo finden! Bestimmt war er in seinem blauen Zimmer â jenem besonderen Raum, den Matteo für sein eigenes Vergnügen reservierte und zu dem er nicht allen Gästen Zutritt gewährte.
Nun, eigentlich gewährte er nur der Frau Zutritt, die gerade in seiner Gunst ganz weit oben stand. Und wenn er sie dort nicht empfing â¦
Cristina schauderte. Diesen Gedanken wollte sie nicht zu Ende denken. Sie hatte so viel Sorgfalt auf ihr Kostüm und ihre Maske verwendet. Bis vor wenigen Stunden hatte ihr Schneider mit seinen Gehilfinnen daran gewerkelt, die zahllosen Schwanenfedern aufzunähen. Und das alles sollte vergebens gewesen sein? Wenn Matteo sie nicht zur Ballkönigin wählte, wen dann?
Ihr wurde plötzlich eiskalt. Was, wenn Matteo eine neue Mätresse hatte, die er an diesem Abend der Florentiner Gesellschaft vorstellen wollte? Wenn sich eine andere Frau in sein Bett gevögelt hatte, dann würde Cristina alles unternehmen, um sie von dort zu vertreiben. Sie kannte Matteos ausgefallene Gelüste, und sie würde ihm seine Wünsche schon erfüllen. Auch wenn sie sich bisher immer geweigert hatte. Das waren doch alberne Spielchen. Welche Frau wollte sich denn die Augen verbinden lassen, wenn sie mit ihrem Liebhaber vögelte? Doch wenn es ihm gefiel â¦
Sie eilte die Treppe hinauf und hastete an den zahlreichen Räumen vorbei, ohne einen Blick durch die halboffenen Türen zu werfen. Inzwischen wusste sie allzu gut, was sie in den unterschiedlichen Räumen erwartete, und sie hatte sich daran gewöhnt. Nichts von dem, was dort geschah, schockierte sie.
Das blaue Zimmer lag am Ende des langen Flurs hinter einer blassblauen Tür, die verglichen mit den anderen Türen in diesem Palazzo schäbig wirkte. Die Farbe blätterte stellenweise ab, und die zarten Vergoldungen waren kaum mehr zu erkennen. Cristina verzog den Mund. Warum Matteo die Tür so belieÃ, war ihr ein Rätsel, und als sie ihn einmal darauf angesprochen hatte, gab er eine merkwürdige Erklärung, dass es nur auf innere Werte ankäme. So ein Unsinn, hatte sie gemeint, aber Matteo hatte darauf nur so fein gelächelt, wie er es immer tat, wenn sie etwas nicht verstand.
Sie war nicht weiter darauf eingegangen.
Die Tür war nur angelehnt.
Cristina zog die Tür leise auf und schlüpfte hinein. Sie stand in einem Vorraum, der durch blaue Samtvorhänge von dem Zimmer getrennt war. Mit angehaltenem Atem lauschte sie, doch aus dem Zimmer war nichts zu hören.
Vielleicht war sie rechtzeitig. Vielleicht war noch nicht alles zu spät.
Sie schob den Vorhang beiseite und betrat den Raum. Die Kerzen in den Leuchtern, die links und rechts das breite Bett mit den blütenweiÃen Laken flankierten, waren bereits entzündet. Auf einem Kissen lag ein Strauà strahlendweiÃer Lilien. Cristina zögerte. Dann setzte sie sich auf die Bettkante. Auf
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