Die Lilie von Florenz
brandete. Im Osten wurde das Schwarz des Nachthimmels vom purpurnen Licht des heraufdämmernden Tages abgelöst. Sie hörte nur seinen Herzschlag. Nur ihn.
Die Welt sollte stehenbleiben.
Doch die Welt drehte sich weiter, unbarmherzig und ohne Rücksicht auf ihre Liebe.
14. KAPITEL
Nur zögernd löste Allegra sich von Matteo. Sie lieà seine Hand nicht los, aber die Kälte drang nun bis in ihr Körperinneres vor und lieà ihre Zähne klappern.
âDu frierstâ, sagte er besorgt. âLass uns zurück ins Haus gehen. Du wirst müde sein.â
Sie schüttelte entschieden den Kopf. Wie konnte sie nach diesen herrlichen Augenblicken der Leidenschaft müde sein? Arm in Arm kehrten sie gemächlich zum Haus zurück.
âSignora, Signora, kommt schnell! Etwas Schreckliches ist passiert!â
Sie hatten das Haus noch nicht ganz erreicht, als ihnen schon Rosalie entgegeneilte. Sofort blieb Allegra stehen, und ihre Hand, die sich gerade noch mit Matteos Fingern verschränkt hatte, zog sie zurück. Legte sie stattdessen an den Hals, als würge sie jemand. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
âVaterâ, flüsterte sie.
Dann eilte sie der Köchin nach, die heftig winkte, ihr zu folgen.
An Matteo verschwendete Allegra nun keinen Gedanken mehr. Sie lief, so schnell ihre FüÃe sie trugen, so schnell ihre zitternden Beine es zulieÃen. Ihre Schritte trommelten auf der Treppe, dem Gang zum Schlafzimmer ihres Vaters. Atemlos verharrte sie an der offenen Tür.
Sie ahnte bereits, was sie erwartete. Und dennoch schloss sie einen Moment die Augen und versuchte, sich für den Anblick zu wappnen, der sich ihr nun bot. Dann betrat sie das Schlafzimmer ihres Vaters und näherte sich leise seinem Bett.
Das Gesicht ihres Vaters war vom Tod gezeichnet. Still lag er da, kein schwerer Atemzug zwang seine Brust zur Bewegung, kein Rasseln in den Lungen war zu hören. Die Stille im Zimmer war vollkommen. Selbst das Feuer im Kamin hatte sich zu einem stummen Flackern herabgesenkt, kein Scheit knackte in der Flamme.
Auf der anderen Seite des Bettes stand Lucia. Sie wirkte unendlich müde und Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln.
âAllegra, Signora â¦â Ihre Hände verharrten zwischen Gebet und teilnahmsvoller Geste.
Allegra sank am Bett ihres Vaters auf die Knie und umfasste seine Hand. Kalt war sie, nicht mehr vom Fieber gewärmt, und sie spürte, wie schlaff seine Hand war. Leblos.
Giancarlo Bandinelli war von ihnen gegangen.
âVaterâ, flüsterte Allegra. Ihre Augen blieben trocken. Sie konnte nicht um ihn weinen. Warum nicht? Sie hatte ihn geliebt, hatte wochenlang um sein Leben gebangt. Doch tief im Herzen hatte sie gewusst, dass dieser Moment kommen würde ⦠Sie begriff, dass sie in den letzten Wochen bereits Abschied genommen hatte. Jeden Tag war ein Stück ihres Vaters verschwunden. Und nun war er für immer fort.
âEr hat ruhig geschlafenâ, berichtete Lucia stockend. âIch habe an Rosalies statt bei ihm gewacht, weil sie in der Küche ⦠das Frühstück ⦠Plötzlich war drauÃen dieser Schrei, wie von einem wilden Tier, das sich paarte ⦠Euer Vater hat sich aufgerichtet, ganz abrupt, und er lächelte plötzlich, flüsterte den Namen Eurer Mutter und ⦠dann sank er zurück, schloss die Augen und starb.â
Plötzlich spürte sie doch die Tränen.
Wie ein Sturzbach rannen sie über ihr Gesicht, und Allegra spürte, wie sie heiÃe Spuren in ihre Wangen gruben. Ihr Vater war gestorben â in jenem Moment höchster Lust, den sie mit Matteo erfahren durfte. Sie hatte keinen Zweifel, dass es ihr Schrei war, den sie nicht hatte unterdrücken können, der ihren Vater zu Tode erschreckt hatte.
Sie spürte eine Bewegung an der Tür. Halb drehte sie den Kopf, obwohl sie ohne hinzusehen wusste, dass Matteo im Türrahmen aufgetaucht war. Er bekreuzigte sich, flüsterte ein kurzes Gebet.
Heuchler!
Sie nickte Lucia zu. âBereite ihn für die Beerdigung vor. Lass unseren Geistlichen kommen und dann â¦â Sie atmete tief durch. âWir werden ihn neben meiner Mutter auf dem Friedhof der Familie bestatten. Weise die Arbeiter an, Lucia. Hilf mir, bitte.â
Lucia knickste hastig, murmelte etwas. Allegra hörte es schon gar nicht mehr. Sie stand auf. Tränenblind tastete sie sich zur Tür, ging an
Weitere Kostenlose Bücher