Die Lilie von Florenz
aber er nickte nur leicht, ehe er sich umdrehte und ging. Sie hörte, wie er im Flur nach seinem Diener rief.
Allegra warf sich in den Sessel an der Feuerstelle. Wie schrecklich! Warum hatte sie ihn nur fortgeschickt? Alles in ihr sehnte sich danach, ihm nachzulaufen und ihn anzuflehen, bei ihr zu bleiben. Doch ihre Wangen brannten vor Scham. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Wenn sie ihren Vater schon nicht in der Stunde seines Todes geehrt hatte, so wollte sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihm ein würdiges Begräbnis zu bereiten.
Die nächsten Stunden und Tage flogen wie eine Reihe blasser, lebloser Bilder an Allegra vorbei. Manchen Moment glaubte sie, nicht mehr sie selbst und aus ihrem Körper herausgetreten zu sein. Wie im Traum wandelte sie durch die Räume, die von schwarzen Vorhängen verdunkelt waren. Das kastanienrote Haar barg sie unter einem schlichten schwarzen Schleier und einzig ihr blasses Gesicht war ein heller Lichttupfer, wenn sie sich im Spiegel anschaute. Lucia und Ana hielten die Köpfe gesenkt, während sie alle Kleider, die Allegra besaÃ, nacheinander in die Bottiche mit der schwarzen Farbe gaben. Nur als Ana Allegras Verlobungskleid auch der schwarzen Trauerflut überantworten wollte, fuhr Allegra dazwischen. âDas nicht!â, sagte sie knapp und ohne Begründung. âHäng es zurück in den Schrank.â
Sie hatte alles veranlasst. Selbst den Brief, mit dem sie Luigi nur wenige Wochen vor seinem Debüt nach Hause rief, schrieb sie noch am ersten Tag und vertraute ihn einem Boten an. Sie lieà sich keine Ruhe, bis sie drei Tage später, am letzten Oktobertag, neben Luigi am Grab ihres Vaters stand, während der Priester ein letztes Gebet sprach.
Kalter Regen prasselte nieder. Wie Nadelstiche grub er sich in ihre Haut, als eine Böe ihr die Tropfen ins Gesicht wehte. Allegra griff nur kurz nach der Hand ihres Bruders, dann zog sie sich wieder in sich selbst zurück. Luigi warf ihr einen knappen Blick zu.
Natürlich hatte er gemerkt, wie schlecht es ihr ging.
Als sie am Abend im Esszimmer saÃen, brach er das Schweigen, mit dem Allegra sich seit Tagen umgab wie mit einer schützenden Hülle.
âWirst du mit mir nach Florenz kommen?â, fragte er leise, während sie die Suppe löffelten, die Rosalie persönlich auftrug â schwer schnaufend, seufzend und immer wieder mit dem Schürzenzipfel Tränen aus dem Augenwinkel wischend, weil sie den Signore so schmerzlich vermisste und seine Kinder ihr so leid taten.
âWieso sollte ich?â, fragte Allegra kühl. Ihre Hand lieà den Löffel in der Suppenschale kreisen. Appetit hatte sie seit Tagen nicht. Sie aà nur, weil alle sie streng und besorgt anschauten, wenn sie die Teller unberührt zurückgehen lieÃ. Diesmal war Rosalie am Kamin stehen geblieben und beobachtete jede Bewegung ihrer Signora. Allegra nahm einen Löffel von der Suppe, aber sie schmeckte nichts.
âNun ja, willst du allein hierbleiben?â
Allegra antwortete nicht. Sie hatte Luigi noch nicht die Wahrheit gesagt. Die Rechnungsbücher hatte sie gut verschlossen, damit er nicht zufällig darüber stolperte. Und damit hatte sie auch den Gedanken an den familiären Bankrott weit von sich geschoben.
âIch werde hierbleiben, bis du nach Rom gehst. Dann komme ich nach.â Zuvor musste sie das Landgut ihres Vaters verkaufen. Der letzte Besitz, der ihnen geblieben war ⦠wenn man von Luigis Stimme absah. Doch sie wollte ihn nicht mit den Schulden belasten; sie musste ihn ohnehin um einen groÃen Gefallen bitten.
âWas ist mit dem Conte del Pirandelli? Hast du ihn über Vaters Tod informiert?â
Luigi stach in die Wunde, die in ihrem Bauch seit Tagen brannte und schwärte. Allegra lieà klappernd den Löffel fallen.
âErwähne seinen Namen nicht.â
Plötzlich war es am Tisch still.
âIch dachte nur â¦â
âGar nichts denkst duâ, fiel Allegra ihm heftig ins Wort. âConte Matteo und ich, wir finden nicht zueinander. Bitte, Luigi, zwingâ mich nicht, ihn zu heiraten. Ich werde wohl auf ewig eine alte Jungfer sein, die an deinem Rockzipfel hängt, aber nach dem, was vorgefallen ist, kann ich ihn nicht heiraten!â
Luigi kaute auf seiner Unterlippe, die leicht bebte. Auch er war den Tränen nah, und sogleich bedauerte Allegra ihre harten Worte. Sie streckte die Hand nach ihm aus.
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