Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
hier.«
»Aber warum hast du mich dann nach München gelotst?«
Wieder bedeutete sie ihm, ruhig zu sein. »Jemand hatte unsere, äh, meine Wohnung durchsucht. Ich wollte, dass jemand, dem ich vertrauen kann, sich das anschaut. Du musst mir das glauben. Ich habe mit diesem ganzen Sektierermist nichts amHut. Ich war froh, endlich wieder in meinem Metier arbeiten zu können, statt in muffigen Auktionshäusern alten Säcken schlimme Ölschinken aufzuschwatzen.«
Jan sah sie immer noch fassungslos an.
»Es war mühsam genug, in den innersten Kreis dieser Wahnsinnigen vorzudringen. Sie glauben an Geistheilungen und Magie und daran, dass bestimmte Gegenstände Glück und Segen, Heilung und Schutz vor dämonischen Mächten und dem Fall in die Hölle bringen. Meist sind diese Gegenstände westliche Konsum- und Luxusgüter wie Seife und Parfum. Hier ist es ein Bild. Ein Werk von Bosch. Und ich war auf der Suche nach diesem Werk. Es ist hier!«
Jan unterbrach sie. »Welches Werk?«
Sie sah ihn lange an, ehe sie mit einer Frage antwortete: »Köhn hat euch geschickt, oder?«
Jan nickte.
»Köhn ist auch mein Auftraggeber. Er hat mich vor einem halben Jahr in Berlin über einen Verbindungsmann kontaktiert. Ich sollte ein Bild von Hieronymus Bosch für ihn begutachten und wenn möglich ersteigern. Ich erkannte es als Fälschung. Später wurde mir klar, dass es ein Test war. Danach lud er mich in sein Haus an den Tegernsee ein. Erst dort rückte er mit seinem wahren Anliegen heraus. Er war auf der Suche nach der ›Erlösung‹.«
Jan sah sie fragend an. Draußen regte sich etwas. Sie hob den Finger, dann schlug sie Jan wieder mit roher Gewalt ins Gesicht. Von der Wucht des Schlages stolperte er nach hinten. Lauthals beschwerte er sich. Sie forderte ihn stumm mit den Händen wedelnd auf, weiterzuklagen. Einen Augenblick später schienen die Wachen draußen sich wieder zu entfernen.
»Gut, ›das Werk‹ ist Boschs letztes Gemälde, das er in Venedig gemalt haben soll. Der Legende nach soll Bosch drei Nächte lang sehr intensiv geträumt haben. Am Tag nach seinem letzten Traum soll er mit Hilfe eines Freundes bis in die Nacht hinein ein Gemälde erstellt haben und dann im Morgengrauen geflohen sein.«
»Und was ist auf dem Bild zu sehen?«, wollte Jan wissen.
Sie atmete tief ein, ehe sie leise, fast flüsternd sagte: »Das Jenseits. Die andere Seite. Die Zeit nach unserem Tod. Nicht irgendeine Paradiesmalerei, sondern so, wie es wirklich ist.«
»Wer sagt das?«, fragte Elijah.
»Die Legende, dokumentiert in der Notiz eines Schülers, die ich in Wien aus dem Nachlass eines Kunstsammlers erhielt.«
»Aber du glaubst doch nicht an so einen Hokuspokus, das ist doch für dich nur kunstgeschichtlich relevant, oder?« Jan schüttelte den Kopf.
Sie sah ihn lange an. »Keiner weiß, ob es wirklich im Jenseits so aussieht, aber jeder, der das Werk erblickt, ist, so die Erzählung, frei von jeder Angst. Manche sagen, es lösche die Sünden, andere meinen, es spende ewigen Trost. Einige, so sagt man, wollten danach sofort sterben. Kaiser Karl V., der, in dessen Reich niemals die Sonne unterzugehen schien, weil es von der Westküste Südamerikas bis zum Osten Europas reichte, erblickte es bei einem Besuch in Boschs Werkstatt. Wenige Tage später dankte er ab und tauchte bis zu seinem Lebensende in die Stille und Abgeschiedenheit eines spanisches Klosters ein. Er war zu diesem Zeitpunkt der mächtigste Mann der damaligen Welt. Und gab alles auf. Einfach so. Danach verschwand das Bild für lange Zeit. Noch einmal soll es im Ersten Weltkrieg aufgetaucht sein. Laut einem Bericht eines Lazarettarztes, der im französischen Péronne stationiert war, soll ein deutscher Sturmtrupp unter der Führung eines bekannten Offiziers das Bild in einer zerschossenen Kirche unweit der Front entdeckt und dann kollektiv die Waffen niedergelegt haben. Die einfachen Soldaten wurden nach einem Verhör wegen Defätismus erschossen, der Offizier soll wieder an die Front versetzt worden sein. Darüber gibt es kaum Aufzeichnungen. Danach verlaufen sich die Spuren über den Verbleib des Werkes im Sand. Die Quellen sind sehr dürftig. Wer es findet, erhält mehr als nur ein teures Kunstwerk.«
Jan lächelte verächtlich. »Was bekommt er denn mehr?«
Andrea schloss die Augen. »Vielleicht ewigen Trost.«
Jan war enttäuscht. »Und dafür hast du dich in diese Sekteeingeschleust? Du riskierst dein Leben, manipulierst andere Menschen, machst diesen ganzen
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