Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
Gewehren!
Elijah saß zunehmend verstört in dem kleinen holzverkleideten Saal. Er schien einst zu einer Gaststätte gehört zu haben. Der dumpfe Geruch von Rauch und fettem Essen hing in den alten Balken. An zwei großen Eichentischen saßen jeweils acht Personen. Andrea hatte mit Elijah und Jan am Tisch der Prophetin Platz genommen. Diese wirkte jetzt wie aufgedreht. Die schwache, fast vergehende Heilerin von eben war nicht mehr in ihr zu erkennen. Die Frauen trugen, wie Andrea, weiße, enge und bis zu den Knöcheln gehende Röcke. Darüber aber waren sie ebenso tief dekolletiert. Das Hervorheben der Weiblichkeit schien dieser Sekte sehr wichtig zu sein, dachte Elijah. Neben der Prophetin saß ein tiefschwarzer, dürrer Mann mit einemtotenkopfähnlichen Gesicht. Aus tiefliegenden Augen sah er Elijah an.
Jan hetzte herein und sah sich verstohlen um. Keiner schien seine Panik zu bemerken. Er musste Elijah und Andrea warnen, ohne dass es diese Sektenführerin mitbekam. Denn hier würde gleich ein blutiges Chaos ausbrechen. Sie mussten sich irgendwie in Sicherheit bringen. Aber es ergab sich keine Möglichkeit, ungestört mit Elijah und Andrea zu reden. Alle Anwesenden flüsterten nur leise miteinander. Wenn die Sektenmitglieder einander ansprachen, benutzten sie immer ein »Herr« oder »Mann« bzw. ein »Frau« oder »Dame« vor dem Vornamen. Nachnamen schienen unbedeutend zu sein. Das Geschlecht aber war ihnen sehr wichtig.
Andrea erklärte, nachdem die Musik verstummt war, mit schwülstigen Worten die Idee der Sekte. »Die Damen und Herren sind davon überzeugt, dass wir in einer großen Zeitenwende leben. Gott spricht erneut durch Prophetenmund zur Menschheit. Frau Birghid verkündet uns die Lehren von Gottes-Geist, vom Licht, das alles Schlechte verbrennt und alles Gute erneuert und vertieft – entsprechend Seiner Ankündigung: Vieles habe Ich euch noch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, so wird Er euch in alle Wahrheit leiten, aus Johannes, Kapitel 16,12.«
Jan unterdrückte seine Unruhe und versuchte so sachlich wie möglich zu klingen, als er sie fragte: »Und warum ausgerechnet ›Frau Birghid‹?«
Andrea lächelte und antwortete professionell und glaubwürdig: »Die Gottesprophetie unserer Frau Birghid in der Jetztzeit enthält Aussagen über die Entstehung der Welt und die Zukunft der Menschheit. Sie lehrt den Inneren Weg zu Gott, auf dem jeder im täglichen Umgang mit seinen Mitmenschen sich selbst erkennen und seine Fehler überwinden kann. Es geht um das Wiedereinswerden mit Gott. Aus den Gottesoffenbarungen durch Frau Birghid ergibt sich, dass die Seele des Menschen schon vor seiner Geburt existierte und sich mehrmals auf Erdeninkarnierte, um sich zu läutern. Das irdische Dasein ist vom Gesetz von Saat und Ernte geprägt, welches besagt, dass alles, was wir Mitmenschen, Tieren und Pflanzen antun, wieder auf uns zurückfällt – durch Unglück, Krankheit und Not, es sei denn, wir bereinigen die sündhaften Ursachen dieser Wirkungen, indem wir unsere Fehler erkennen, bereuen, um Vergebung bitten, selbst vergeben und die alte Sünde nicht mehr tun …«
Und während Andrea monologisierte und die Litanei dieser Sekte von sich gab, merkte nur Jan, wie seine Exfrau sich tief in ihrem Inneren über ihre eigenen Worte lustig machte. Er war erleichtert, dass Andrea nicht den Verstand verloren hatte, aber gleichzeitig auch besorgt, dass sie hier in einer gefährlichen und nicht kalkulierbaren Gruppierung ein doppeltes Spiel treiben wollte. Er kannte sie als Intellektuelle, die Rolle als investigative Forscherin konnte für sie lebensgefährlich sein.
Der Nigerianer hatte sich erneut an die Tischorgel gesetzt und mit großer Geste ein altes Kirchenlied angestimmt. »Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, nimm wahr …«
Die Prophetin beugte sich zu Elijah. »Herr Elijah, als Jude aus Palästina sind Ihnen diese Lieder sicher nicht bekannt. Aber hören Sie gut zu, dann erkennen Sie die deutsche Seele darin.«
Säuerlich nickte der Israeli.
»… was heut Geschicht, wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht! …«
Jan kannte das Lied. Und es zerriss ihm das Herz. Er sah zu Andrea, auch sie schien sich zu erinnern, wie sie mit ihrem Sohn am Sonntag vor dem Unfall in München in der Kirche gesessen hatten und dieses Lied sangen.
»… da, wo man uns hinträgt, wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist …«
Andrea
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