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Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)

Titel: Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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ungestört.«
    Sie saßen auf einem ehemaligen Dachboden, dem ebenjenes Dach durch stetigen Beschuss abhandengekommen war, und konnten weit in die welligen Flächen der Picardie hineinsehen. Die fahle Sonne, die noch keine große Frühlingswärme ausstrahlte, ging langsam unter. Krähenschwärme zogen ihre Kreise über den Ruinen der Stadt. Niedermayer hatte eine Flasche Wein aus seinem Brotbeutel geholt und etwas Käse aus Zeitungspapier ausgerollt.
    »Fischer, Sie erscheinen mir als sehr nachdenklich und trotz ihres jungen Alters als erfahren genug, das hier alles zu verstehen.«
    Wilhelm Fischer gefiel das Kompliment. Er war nie religiös erzogen worden, seine Eltern waren protestantische Mecklenburger, Kaufleute, die sich herzlich wenig aus der Suche nach dem Sinn des Lebens machten. Sie glaubten an das Klingeln ihrer Kasse. Ihr Sohn dachte anders. Er wollte nach dem Krieg Philosophie und Geographie in Berlin studieren. Aber jetzt war alles anders. Jetzt war die Hölle da.
    »Wie erwähnt, sollten wir die Stämme in Indien, Persien und Afghanistan aufwiegeln. Ich war für die militärischen Aspekte der Expedition zuständig, die diplomatische Seite übernahm Leutnant von Hentig. Trotz vieler Rückschläge hielten wir sowohl die Russen als auch die Engländer vor Ort ziemlich auf Trab. Am Ende scheiterten wir. Der Emir hatte uns monatelang mit leeren Versprechungen hingehalten, Ende Mai 1916 mussten wir endgültig verschwinden. Wir teilten uns auf. Hentig floh über den Hindukusch und die Wüste Gobi nach China. Dort hatte er schon vor dem Krieg gelebt. Ich wollte den Weg westlich gehen und in die Türkei zurückkehren. Unterwegs wurde ich überfallen, ausgeraubt und irgendwo in Turkestan in einen staubigen Straßengraben geworfen. Ich war mehr tot als lebendig.«
    Niedermayer zog an dem Korken der Flasche und goss sich etwas Wein in einen Metallbecher. Fischer hatte ihm bewundernd zugehört. So hatte er sich das Abenteuer Krieg vorgestellt. Kein Schlamm, kein Stellungskrieg.
    »Eine Frau fand mich und befahl ihrem Sohn, mich zum nächsten Dorf zu tragen. Dort wurde ich tagelang gepflegt. Es lag am Rande eines großen Sees, dem Aralsee. Sie waren gut zu mir. Es waren zwar Turkvölker, aber keine Muselmanen. Sie haben mich gepflegt und mich gelehrt. Es war das Gegenteil von all dem hier«, er machte eine ausladende Bewegung. »Es war wie ein heiliger Ort, aber nur eine Zwischenstation auf dem Weg der Erkenntnis.« Niedermayer trank einen tiefen Schluck.
    »Welche Erkenntnis meinen Sie?« Fischer war enttäuscht. Er hatte mit Hinweisen auf Schätze gerechnet.
    »Die Erkenntnis und das Wissen über die ANDERE Seite. Das erfuhr ich erst dort.« Niedermayer betonte es überdeutlich und machte dabei eine weit ausholende Bewegung. »Stellen Sie sich vor, Sie könnten ins Jenseits schauen, wie Orpheus oder Dante einst. Und Sie könnten beeinflussen, wie alles danach für Sie persönlich sein wird.«
    Fischer war sich nicht sicher, ob der Wein bei Niedermayer stärker wirkte als bei gewöhnlichen Menschen. Denn jetzt klang es doch sehr nach »Jagdschein«. Diesen Begriff nutzten die einfachen Soldaten, wenn Menschen Irrsinn vorgetäuscht hatten, um von der Front wegzukommen.
    Falls Niedermayer die Zweifel seines jungen Lebensretters spürte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Ich sah es. Denn man schenkte mir für einen kurzen Moment einen Blick in das Licht. Und Sie, junger Leutnant Fischer, haben es mit mir heute Morgen auch sehen dürfen.«
    »Ich verstehe nicht. Was ich gesehen habe, war Tod und Grauen. Da war kein Licht. Oder glauben Sie, dass unser Herrgott da draußen bei uns war?«
    Niedermayer sah ihn belustigt an und schüttelte leicht den Kopf. »Nein, das war ER bestimmt nicht. ER ist nicht da. Aber das Licht war da. Und ES ist unbeschreiblich. ES ist die Verheißung.«
    Fischer sah ihn verständnislos an. Wovon redete der Mann jetzt bloß?
    Niedermayer schlug seine Jacke auf, knöpfte eine versteckte Innentasche auf und zog ein kleines Päckchen hervor. »Sie haben nach meiner Rückkehr alles wissen wollen im Generalstab in Spa. Ich habe nichts gesagt. Sie wollten wissen, ob ich die Macht, die ich sah, auf sie übertragen könne. Ich habe es verneint.« Seine Stimme wurde schneller, hektischer, er wirkte plötzlich wie von etwas angetrieben. »Selbst der Kaiser, ein großer Freund der Kunst, wollte den Ort der Erkenntnis wissen. Aber ich sagte wieder Nein. Sie verliehen mir den Max-Joseph-Orden. Meine

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