Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
Antwort lautete Nein. Sie schlugen mich zum Ritter, hoben mich in den Adelsstand. Ich blieb beim Nein. Somit schickten sie mich enttäuscht wieder ins Feuer. Aber das macht mir nichts. Ich weiß, wohin ich gehe. Sie aber, junger Fischer, werden es bekommen.«
Niedermayer hatte sich vorgebeugt, ganz nah war er jetzt vor Fischers Gesicht. Er roch den Wein in seinem hektischen Atem, sah den stieren Blick, den Schweiß auf der Stirn des Mannes. Er schien dem Wahnsinn anheimzufallen. Fischer hatte es in den letzten Monaten bei vielen gesehen. Nach Sturmangriffen oder Grabenkämpfen, wenn jemand verschüttet wurde in einem Unterstand oder nach einem Artillerieangriff, waren erst alle erleichtert. Aber mit der Ruhe kroch der Wahnsinn in die Köpfe der Männer, ließ sie über die Gräben in das Feuer der Maschinengewehre laufen oder den besten Kameraden urplötzlich angreifen. Fischer fühlte sich nicht wohl hier oben. Niedermayer packte seine Hand, drückte sie, und als er losließ, lag ein kleines, bräunlich gefärbtes Foto in seiner Handfläche. Darauf abgesetzt war eine Gestalt zu erkennen. Sie trug eine Soutane. Hinter ihr war eine Kapelle oder kleine Kirche zu erkennen. Fischer verstand nicht. Niedermayer stand abrupt auf und sah umher, um sich ein letztes Mal zu ihm zu wenden.
»Jetzt hast du es, du wirst all das überleben. Herauskommen, wie du es dir wünschst. Aber du wirst danach, wenn das alles hier vorbei ist, deinen Teil zahlen müssen. Such das Bild, aber vor allem: Such SIE , sonst sucht SIE dich. Und das willst du nicht.«
Aus den Protokollen des Sonderermittlers Oskar von Mackensen: »Oskar von Niedermayer wurde zwei Tage später in einem Unterstand zwei Kilometer nördlich von Péronne verschüttet. Er konnte fast unverletzt geborgen werden. Er hatte äußerlich kaum Verletzungen davongetragen, eine Risswunde am Hinterkopf war vom Lazarettarzt als harmlos bezeichnet worden. Lediglich eine Teilamnesie machte ihm zu schaffen, löschte die meisten Erinnerungen an den Krieg aus …«
So war Oskar von Niedermayer einer der wenigen glücklichen Menschen, die von diesem grausamen Gemetzel nichts zurückbehielten außer einer Narbe am Kopf.
Anders erging es sechs einfachen Soldaten und einem Leutnant. »… sie hatten nach dem Besuch einer Kirche widerrechtlich und ohne Aufforderung eines Offiziers ihre Waffen bei ihren Kameraden im Unterstand abgegeben, waren aus dem Graben geklettert und hatten sich dann, ohne Eile und anscheinend glücklich dem feindlichen Feuer genähert …«
Der Zeitpunkt war nicht gut gewählt. Die alliierte Artillerie zermalmte vier von ihnen binnen weniger Sekunden.
»Zwei konnten schwerverletzt wieder in die rückwärtige Front gerettet werden. Leutnant Fischer, der den Sturmtrupp bis zu diesem Akt des Defätismus anführte, war nicht auffindbar. Die ersten Ausführungen der Überlebenden wurden sofort weiter nach Spa übermittelt, wo Seine Majestät der Kaiser anwesend war. Nach Weisung Seiner Kaiserlichen Majestät führte ich an den darauffolgenden zwei Tagen die Vernehmungen durch. Nach deutlichem Insistieren verriet einer der Delinquenten den Ort des Verstecks. So konnte ich …«
Der Rest des Vernehmungsprotokolls wurde bei einem übereilten Rückzug zerstört. Sechs Tage später, am Morgen des 30. 03. 1918, rollte ein verplombter und mit großen Panzerplatten geschützter Zug mit einem Waggon vom Bahnhof Namur los. Sein Ziel war Potsdam.
München, Deutschland, 23. 12., 12.35 Uhr
Es war einst ihr Haus. Eine Villa in Bogenhausen zu besitzen, dem schönsten, aber zweifellos auch teuersten Stadtteil Münchens, erschien Jan damals als das perfekte Glück. Sein Arbeitsplatz, das Klinikum rechts der Isar, lag nur einen kurzen Fußmarsch entfernt. Das Haus selbst besaß einen großzügigen Garten und bot absolute Ruhe nach der anstrengenden Arbeit im OP . Die alte Rotbuche hinter dem Haus trug an ihren langen und dicken Ästen einst die Schaukel ihres Sohnes. Er hatte auf Anraten des Psychologen, der sie direkt nach dem Tod des Jungen betreute, alle Sachen verschenkt oder weggeworfen und stattdessen einen Apfelbaum im Garten gepflanzt. Doch nur wenige Tage nach der Beerdigung hatte seine Frau den Baum herausgerissen und auf den Komposthaufen geworfen, ihn angeschrien und dann hinausgeworfen.
Jetzt, über anderthalb Jahre später, war er zurückgekehrt, und die Ironie des Schicksals hatte ihn in diesem Chaos wieder mit seiner Exfrau zusammengebracht. Denn Andrea hatte der
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