Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
jedes Haus vor. Ab und an war ein Schreien oder Wimmern der völlig verängstigten Menschen zu hören, die zu den Bussen geführt wurden. Dann das Zischen, wenn die Türen aufschwangen und eine Familie verängstigt hineintrat und sich einen Platz suchte.
Langsam näherte sich die Prozession ihrem Standort. Ein Polizist in einem gelben Anzug und mit einer großen Atemmaske watschelte zu den parkenden Autos und leuchtete hinein. Jan griff nach hinten auf den Rücksitz. Er hatte dort immer eine Decke deponiert, für den Fall, dass er einmal auf der Autobahn ohne Sprit liegen blieb. Sie drehten hektisch die Sitze nach hinten, warfen die Decke über sich und warteten. Würde man sie entdecken, liefen sie Gefahr, kaserniert zu werden. Jans Plan war es, sich bei einem befreundeten Arzt impfen zu lassen, mit seiner Exfrau zu sprechen und dann das Seuchengebiet schnellstmöglich zu verlassen.
Das Licht einer Taschenlampe kreiste in ihrem Wagen. Sie hörten das stoßweise Atmen des Polizisten. Die Decke war wohl noch voller Pollen von einem Frühlingsausflug, denn Regina spürte ein mächtiges Kribbeln, und kaum hatte sich der Polizist dem nächsten Wagen genähert, musste sie niesen.
Eine Minute später standen sie mit den Händen auf dem Wagendach draußen vor ihrem Auto, und der Schnee rieselte auf ihre Anoraks.
»Sie werden jetzt gemäß dem Seuchenschutzgesetz in die nächstgelegene Station gebracht.«
Die Stimme des Polizisten klang blechern und wütend. Dahinter vermutete Jan pure Angst. Handschellen klickten um ihre Gelenke, und sie wurden recht rüde zu einem bereitstehenden Bus gebracht.
»Hallo, Jan, bist du das?« Eine Person in einem Gummianzug ging forschen Schrittes auf den Bus zu. »Ich bin es, Dirk Sandmann.«
Jan erkannte ihn nur an der Stimme. Es war sein Lieblingskollege,an seinem Klinikum, nicht weit von hier. Sandmann arbeitete dort an einem Spezialgebiet der Gynäkologie, der Präimplantationsforschung. Oft hatten sie sich über das Für und Wieder des Eingriffs in die Natur gestritten, waren darüber aber so etwas wie Freunde geworden.
»Hattet ihr Kontakt mit Infizierten? Herr Wachtmeister, bitte, wir brauchen jeden Mediziner.«
Dieser verschränkte die Arme, ehe er erwiderte: »Wir haben unsere Anordnungen.«
Sandmann ließ nicht locker. »Ja, aber ich leite die Entwohnungsaktion hier, also bitte.«
Zweifelnd schaute der Polizist um sich. »Gut, auf Ihre Verantwortung.«
»Kommt mit mir, wir fahren runter zum Klinikum, dann untersuchen wir euch, und du kannst gleich mit dem Dienst beginnen.«
Das Klinikum rechts der Isar war nicht für die Behandlung von Seuchenfällen ausgewählt worden. Die Staatsregierung hatte dafür das Krankenhaus Schwabing vorgesehen. Doch schon am Nachmittag des ersten Ausbruchstages war es hoffnungslos überfüllt. So musste das Uni-Klinikum in Bogenhausen Kapazitäten frei räumen. Jeden Patienten, der nicht wirklich akut behandelt werden musste, schickten die Ärzte nach Hause. Sie mussten nicht lange bitten, die Menschen wollten fort von den Infizierten, in die scheinbare Sicherheit des eigenen Heims. Da wurden Magenschmerzen, Knochenbrüche und andere Akuterkrankungen plötzlich zu harmlosen Wehwehchen erklärt. Doch auch das reichte bald nicht mehr. Lang geplante Operationen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, nur um Bettenkapazitäten zu erhalten. Hektisch richtete der Krisenstab eine mobile Quarantänestation in einem abgesonderten Trakt des Klinikums ein, schon nach zwei Stunden lagen die infizierten Patienten auf den Fluren statt in einem Isolationsbett mit Plastikzelt. Mit provisorischen Schleusen versuchte man, der Situation Herr zu werden und die Kranken von den Gesunden bzw. nicht Infizierten fernzuhalten. Das Pockenvirus hat, das wusste man, einemörderische Verbreitungsform. Es segelt stundenlang in der Luft, bleibt an Kleidung und Haaren hängen und kann mühelos aus dem ersten Stockwerk in höher gelegene Etagen gelangen, ohne seine tödliche Wirkung zu verlieren. Obwohl man die Klimaanlage sofort abgeschaltet hatte, waren binnen weniger Stunden Patienten auf anderen Stationen von dem Virus befallen worden. Die Belieferung mit dem Impfmittel verzögerte sich. Der gesamte Wiener Platz, der an das Klinikum angrenzte, war vom Technischen Hilfswerk in eine mobile Impfstation verwandelt worden. Zelte waren aufgestellt, Schleusen eingerichtet und Impfkarten erstellt worden.
»Noch läuft alles bemerkenswert ruhig, aber die nächsten Tage werden
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