Die linke Hand Gottes
Verwahrung reichte.
»Was mein Freund hier andeuten will, ist lediglich, dass ich mir alles selbst zuzuschreiben habe. Und ich sage das nicht aus Nettigkeit. Das ist die Wahrheit.«
Da Riba – wie wohl jeder an ihrer Stelle – unbedingt die Absolution bekommen wollte, ließ sie nicht locker.
»Ich glaube trotzdem, dass es meine Schuld ist.«
»Das kannst du halten, wie du willst.«
Sie sah so geknickt aus, dass Vague Henri Mitleid hatte, sie bei der Hand nahm und sie aus dem Warteraum hinaus in den noch finstereren Gang führte.
»Das war so dumm von mir«, sagte sie unter Tränen und wütend über sich selbst.
»Quäl dich nicht weiter. Er meint wirklich, dass es nicht deine Schuld ist. Er muss sich jetzt konzentrieren.«
»Was wird geschehen?«
»Cale wird siegen. Er siegt immer. Aber ich muss jetzt gehen.« Sie drückte ihm nochmals die Hand und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Vague Henri sah sie an, in seiner Brust tobten die Gefühle, dann ging er in den Warteraum zurück.
In den verbleibenden zehn Minuten machte Cale wie vor jedem Kampf schweigend seine Aufwärmübungen. Kleist und Vague Henri schlossen sich ihm an, ruderten mit den Armen, streckten die Beine und ächzten leise im trüben Licht. Dann pochte es laut an der Tür.
»Es ist so weit, bitte bereithalten.«
Die Jungen schauten sich an. Auf eine kurze Stille folgte ein lautes Knarren, als der Riegel der zweiten Tür am anderen Ende des Raumes weggeschoben wurde. Durch die langsam sich öffnende Tür fiel ein Lichtstrahl in das Halbdunkel, so als ob die Sonne selbst draußen auf Cale wartete. Das grelle Tageslicht brach durch den eben noch düsteren Raum, als wollte es sie in die Geborgenheit des Dunkels zurücktreiben.
Cale schritt vorwärts, im Ohr noch ihre letzten Worte. »Lauf weg. Verlass Memphis, bitte. Was bedeutet dir das alles hier? Lauf weg. Nach wenigen Schritten hatte er die Schwelle erreicht, dann stand er im Sonnenlicht. Es war zwei Uhr mittags.
Mit dem blendenden Licht schlug ihm der tosende Lärm der Menge entgegen. Ein Geschrei wie zur Bärenhatz drang ihm in die Ohren. Nach ein paar Schritten hatten sich die Augen an die Helligkeit gewöhnt, aber alles was er wahrnahm, war nicht die Wand der dreißigtausend Gesichter, die schreiend und singend vor ihm wogte, sondern der einzelne Mann, der mit zwei, noch in der Scheide steckenden Schwertern in der Mitte der Arena wartete. Cale wollte nicht zu Solomon Solomon hinüberschauen, trotzdem tat er es. Zu seiner Linken ging sein Gegner gemessenen Schrittes und geraden Blickes auf den Mann in der Mitte zu. Er schien größer, kräftiger und breiter, als ihn Cale in Erinnerung hatte, so als hätte er seit ihrer letzten Begegnung an Größe zugenommen. Cale wunderte sich selbst, wie die Furcht ihm alle Kraft raubte, die ihn in seinem bisherigen Leben unbesiegbar gemacht hatte. Die Zunge, trocken wie Sand, klebte ihm am Gaumen, die Muskeln seiner Schenkel schmerzten und vermochten ihn kaum zu tragen, die Arme, sonst stark wie Eichen, fühlten sich schwer an, so als wäre es schon eine Großtat, sie zu heben, und in den Ohren dröhnte es, lauter als der Lärm der johlenden und grölenden Menge. Vor der Begrenzung des Amphitheaters waren alle vier Schritte Soldaten postiert, die abwechselnd hinauf in die Menge und in die Arena schauten.
Die verhassten Glatzen grölten ihr Lied:
»KEINER LIEBT UNS, DAS IST UNS EINERLEI KEINER LIEBT UNS, DAS IST UNS EINERLEI
WIR DAGEGEN, WIR LIEBEN DIE LOLLARDEN SOGAR DIE HUGENOTTEN MIT DEN STRAMMEN WADEN
EINES ABER HÖRT, DAS SAGEN WIR GANZ FREI: UNS GEHT ÜBER ALLES NE ECHTE KEILEREI...«
Dann rissen sie die Arme hoch und klatschten im Takt zu dem neuen Lied, wobei sie auch noch in die Knie gingen:
»FRISS VOGEL ODER STIRB
FRISS VOGEL ODER STIRB
FRISS VOGEL ODER STIRB
FRISS VOGEL ODER STIRB«
Die Lollarden mit ihren Zylindern wollten nicht zurückstehen und sangen zum Hohn auf die anderen:
»HALLIHALLO, WIE HEISST DENN DU?
HALLIHALLO, WIE HEISST DENN DU?
HEISST DU RUPERT, HEISST DU KALLE?
IN EINER MINUTE MACHEN WIR DICH ALLE
WIR HALTEN UNS NICHT MIT REDEN AUF
WIR ZAUDERN NICHT, WIR SCHLAGEN DRAUF
OB GLATZENKOPP ODER NE ANDERE RATTE
GLEICH LIEGST DU AUF DER MARMORPLATTE
EIN WEISSES LAKEN ZIERT DICH KNECHT
OHNE ZÄHNE UND OHNE GEMACHT.
HALLIHALLO, WIE HEISST DENN DU?«
Jeder Schritt vorwärts fiel Cale schwerer. Zum ersten Mal seit vielen Jahren drückten ihn Furcht und Schwäche nieder und sabotierten Kopf und Herz.
Dann war er da und mit ihm
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