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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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stattfanden. Und diese Niederlagen gegen grimmige, mit allen Wassern gewaschene Krieger wurden im Lauf der Wochen immer seltener. Er war berühmt und das zu Recht. So war es keine Überraschung, dass er in der letzten Woche des Lehrgangs einen Preis erhielt, der nur ganz wenigen neu in die Armee der Materazzi eintretenden Kämpfern verliehen wurde: die Forza, ein Prunkschwert, das landläufig unter dem Ausdruck »Schneide« bekannt war. Der große Waffenschmied Martin Bacon hatte es vor über hundert Jahren aus einem Stahl von unvergleichlicher Härte und Geschmeidigkeit geschmiedet. Das Geheimnis seiner Herstellung ging unwiederbringlich verloren, als Bacon sich wegen einer Materazzi-Schönheit, die ihn verschmähte, aus Kummer das Leben nahm. Der damalige regierende Doge Peter Materazzi, für den Bacon das Schwert geschmiedet hatte, war über dessen Tod untröstlich und verstand sein ganzes Leben lang nicht, warum ein Mann von Bacons Talent und Fähigkeit sich das Leben nehmen konnte. »Wegen eines Mädchens!«, rief er händeringend. »Ich hätte ihm meine Frau gegeben, wenn er mich darum gebeten hätte.« Wer die Kälte der Materazzi-Frauen kannte, musste allerdings bezweifeln, ob dieses Angebot Erfolg gehabt hätte.
    Auf jeden Fall war die Verleihung der »Schneide«, die seit über zwanzig Jahren nicht mehr vergeben worden war, eine herausragende Ehrung für Conn.
    Der Festakt und die Parade der Absolventen gaben ein prächtiges Schauspiel ab: Eine gewaltige Zuschauermenge winkte mit Hüten und brach in Jubel aus, dazu Musik und glänzende Uniformen. Die Materazzi-Elite versammelte im Angesicht ihrer Ahnen eine fünftausend Mann starke Einheit. Das waren keine gewöhnlichen Soldaten, vielmehr paradierte hier eine Elite, die am besten ausgebildete und bewaffnete Truppe der Welt, deren Mitglieder alle Rang und Namen hatten.
    Und im Mittelpunkt dieser Truppe stand Conn Materazzi, sechzehn Jahre alt, überdurchschnittlich groß, athletisch, schlank und gut aussehend – der Liebling der Menge, der Mann, der alle Blicke auf sich zog, der Stolz der Materazzi. Unter dem Jubel der Zuschauer wurde ihm die »Schneide« übergeben, er hob das Schwert über den Kopf und ein ohrenbetäubender Beifall brandete auf. Conn strotzte vor Selbstbewusstsein.
    Vague Henri klatschte mit, um nicht aufzufallen. Kleist übertrieb den Beifall und brüllte laut Conns Namen, als wäre der sein Zwillingsbruder. Nur Cale sah teilnahmslos zu, obwohl Kleist ihm einen Knuff gab und Henri ihn leise bat, mitzuklatschen. Diese Reaktion entging Conn nicht, mochte er sonst auch glauben, der Himmel habe sich über ihm geöffnet.
    Conn hatte bereits eine hohe Meinung von seiner Person, nicht zuletzt dank eines Anhangs von Speichelleckern, aber nun wurde sie in schwindelnde Höhen geschraubt. Noch zwei Stunden später, als sich die Menge bereits zerstreut hatte und er hinter die hohen Mauern der Festung zurückgekehrt war, summte es in seinem Kopf wie in einem Bienenkorb. Nun, da die Gratulationen der Granden der Materazzi und der Beifall der Freunde ihr Ende gefunden hatten, kehrte sein Wirklichkeitssinn zurück und er erinnerte sich an die kalkulierte Beleidigung, die Cales teilnahmslose Haltung bei seiner Triumphfeier darstellte. Eine solche offenkundige Unbotmäßigkeit durfte er nicht hinnehmen und deshalb befahl er einem Diener, seinen Waffenschüler auf der Stelle zu holen.
    Der Diener brauchte einige Zeit, Cale aufzuspüren, weil er das Pech hatte, bei der Ankunft im Schlafsaal der Schüler auf Henri zu stoßen, der seinem Spitznamen abermals alle Ehre machte. Einmal mehr bewies er seine Begabung für ausweichende Antworten.
    »Cale?«, meinte er, als sei er sich nicht sicher, ob es eine Person dieses Namens überhaupt gab.
    »Lord Conn Materazzis neuer Waffenschüler.«
    »Welcher Lord?«
    »Er hat schwarzes Haar und ist ungefähr so groß.« Der Diener, der den Eindruck hatte, es mit einem begriffsstutzigen Individuum zu tun zu haben, deutete mit der Hand eine Größe von ungefähr ein Meter siebzig an. »Sieht kümmerlich aus.«
    »Ach so, Kleist. Der ist unten in der Küche.«
    Vielleicht, dachte der Diener, suchte er tatsächlich Kleist. Er glaubte sich zu erinnern, dass Conn Materazzi von Cale gesprochen hatte, aber es konnte auch Kleist gewesen sein, und angesichts der Verfassung, in der sich der junge Lord befand, schien es ihm nicht geraten, umzukehren und noch einmal zu fragen. Unglücklicherweise betrat genau in diesem Augenblick

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