Die linke Hand Gottes
musste, wenn der junge Aristokrat Schaden litte. Der an die Wand gedrückte Junge tat ihm wirklich leid, denn nun ging es um sein Leben. Conn spannte seinen Gegner auf die Folter, er suchte die Angst in Cales Augen. Doch Cales Miene blieb immer gleich – ausdruckslos, so als habe er gar keine Seele mehr.
Jetzt mach schon, du kleines Aczs, dachte der Offizier.
Dann stieß Conn zu. Ein Blitz ist langsam im Vergleich zur Rasanz, mit der die »Schneide« die Luft durchschnitt. Diesmal parierte Cale den Stoß nicht, sondern wich ihm aus. Der Schwertstoß ging daneben, wenn auch nur um Haaresbreite. Noch ein Stoß, wieder daneben. Dann ein Hieb, den Cale mit einem Schritt zur Seite vermied.
Nun griff Cale zum ersten Mal an. Conn parierte den Stoß, jedoch nur knapp. Stoß auf Stoß trieb Cale ihn zurück, bis sie fast wieder den Ausgangspunkt erreicht hatten. Inzwischen atmete Conn schwer, er keuchte unter der aufsteigenden Angst. Sein Körper, der Schrecken und Todesgefahr nicht gewohnt war, rebellierte, die Nerven flatterten, die Därme verkrampften sich, die in langen Übungsjahren erworbene Kampfkunst ließ ihn im Stich.
Plötzlich blieb Cale stehen.
Er zog sich aus der Reichweite von Conns Schwert zurück und taxierte den Gegner von oben bis unten. In diesen ein, zwei Sekunden schlug der verzweifelte Conn noch einmal zu. Doch Cale wich schon aus, ehe der Stoß überhaupt ausgeführt wurde, blockte die »Schneide« mit einem Dolch ab und stieß den anderen tief in Conns Schulter.
Mit einem Schmerzensschrei ließ Conn das Schwert fallen, woraufhin Cale ihn herumdrehte und ihn mit dem Arm in den Schwitzkasten nahm, während die Spitze des anderen Dolches auf Conns Bauch zeigte.
»Rühr dich nicht«, flüsterte er in Conns Ohr, dann herrschte er die vorrückenden Soldaten an: »Keinen Schritt weiter, oder ich steche ihn ab.« Und zum Zeichen, dass er es ernst meinte, drückte er Conn die Dolchspitze in den Bauch. Beeindruckt gebot der Offizier seinen Männern, stehen zu bleiben.
Die ganze Zeit über hatte Cale seinen Gegner im Schwitzkasten gehalten. Er drückte noch fester zu, sodass Conn kaum noch Luft bekam. Wieder flüsterte er ihm ins Ohr.
»Ehe du schlappmachst, noch ein Hinweis: Kämpfen hat nichts mit Kunst zu tun.«
Conn verlor das Bewusstsein und hing wie ein nasser Sack an Cales Arm. Erst jetzt löste er ein wenig den Griff.
»Er lebt noch, Leutnant, aber nicht mehr lange, wenn Ihr oder Eure Männer irgendetwas Heldenhaftes vorhabt. Ich hebe jetzt das Schwert auf. Benehmt Euch also.«
Da der ohnmächtige Conn ein erhebliches Gewicht darstellte, ging Cale langsam in die Knie und hob das Schwert auf. Einmal in der Hand, richtete er sich, die Soldaten scharf im Auge behaltend, wieder auf. Mehr und mehr Soldaten kamen durch das äußere Tor, bis schließlich gut hundert den Garten füllten.
»Was hast du jetzt eigentlich vor, Junge?«, fragte ihn der Offizier.
»Ehrlich gesagt«, sagte Cale, »das habe ich mir noch nicht überlegt.«
In dem Augenblick rief Vague Henri etwas vom Dach: »Versprecht, dass ihr ihm nichts tut, dann lässt er den jungen Materazzi los.«
Aufgeschreckt antworteten die Soldaten auf diesen ersten Vermittlungsversuch mit drei Pfeilen in Henris Richtung. Vague Henri duckte sich und verschwand hinter dem Schornstein.
»Aufhören!«, rief der Offizier. »Der Nächste, der ohne meinen Befehl handelt, muss einundfünfzig Jahre lang die Latrinen putzen!«
Und an Cale gewandt: »Was hältst du davon? Lass ihn los und dir geschieht nichts.«
»Und dann?«
»Versprechen kann ich nichts. Ich tue mein Möglichstes. Ich sage, dass die jungen Männer dich verhöhnt haben – ob man mich anhören wird... Hast du eine andere Wahl?«
»Cale! Tu, was er sagt«, rief Vague Henri, diesmal sehr darauf bedacht, nur den Kopf über die Dachkante zu heben.
Cale zögerte eine Weile, obwohl klar war, was er zu tun hatte. Er nahm das Schwert von Conns Kehle und spähte in die Runde, wo er es lassen konnte. Das Glück war mit ihm. Keine zwei Schritte hinter ihm begann der alte Teil der Mauer und dort, etwa in Kniehöhe, trafen zwei mächtige Grundsteine zusammen. Er stieß die »Schneide« zwei Handbreit tief in die Lücke zwischen diesen beiden Steinen.
»Was machst du da, Junge?«, rief der Offizier.
Cale ließ den ohnmächtigen Conn zu Boden sinken, nahm das Schwert und drückte es mit aller Kraft gegen das Gewicht der mächtigen Steine. Die »Schneide«, das vielleicht beste Schwert in der
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