Die linke Hand Gottes
dieser Junge, dass Ihr für ihn keine Mühe und Kosten scheut?«
»In Eurem verständlichen Ärger über den Schaden an Eurem Eigentum und dem Schmerz, der Eurem Neffen zugefügt wurde, habt Ihr die Tatsache übersehen, dass ein vierzehnjähriger Junge die glänzendsten Vertreter der jungen Materazzi-Elite, einschließlich des Besten seiner ganzen Generation, im Kampf geschlagen hat. Wäre das kein Grund zur Beunruhigung?«
»Ein Grund mehr, ihn ein für alle Mal loszuwerden.«
»Wollt Ihr gar nicht wissen, wie er diese unglaublichen Fähigkeiten erworben hat?«
»Wie denn?« »Der Junge, Cale heißt er, wurde in der Ordensburg der Erlösermönche erzogen und ausgebildet.«
»Sie haben uns nie Scherereien gemacht.«
»Nicht in der Vergangenheit – aber nach dem, was der Junge mir berichtet hat, soll sich in den letzten sieben Jahren das Leben und die Ausbildung in der Ordensburg grundlegend geändert haben. Dort werden mehr Krieger rekrutiert und zu rücksichtslosen Kämpfern ausgebildet.«
»Fürchtet Ihr, dass sie einen Angriff auf uns planen? Das wäre ausgesprochen töricht.«
»Erstens, Marschall, gehört es zu meinen Aufgaben, über solche Dinge besorgt zu sein. Und zweitens, wie viele Könige und Potentaten haben vor dreißig Jahren das Gleiche von Euch gedacht?«
Materazzi war peinlich berührt. In den Anfangsjahren seiner Herrschaft hatte ihn ein blutrünstiger Willen angetrieben, doch nach zehn Friedensjahren war ihm jede Kriegslüsternheit vergangen. Der Kriegsherr, der einst als räuberischer Eroberer verschrien war, stand nun in der Lebensmitte und wünschte sich nur noch ein ruhiges Leben, in dem er nicht mehr eine Woche lang frieren, in der nächsten vor Durst beinahe umkommen musste. Vor allem aber wollte er nicht, wie er einmal betrunken gegenüber Vipond eingestanden hatte, sich weiterhin der Ungewissheit des Kriegsglückes aussetzen und womöglich in die Hände eines hinkenden Bauern fallen, der ihm die Gedärme um seine Sense wickeln würde.
Bisher hatte er keinem Menschen gestanden, dass seine Abneigung gegenüber dem Krieg aus der Zeit rührte, als er winters in den eisigen Steppen des Ostens halb verhungert von den sterblichen Resten seines Adjutanten gegessen hatte.
»Wie sieht Euer Plan aus?«, erkundigte sich der Marschall. »Ich bin sicher, dass Ihr einen Plan habt, und ich hoffe, er zeigt einen Weg, mich vor dem Eifer meines Bruders wegen Conn zu schützen.«
Vipond legte einen Brief auf den Tisch. Er war von Conn Materazzi. Der Marschall erbrach ihn und las ihn aufmerksam. Als er fertig war, legte er den Brief beiseite.
»Conn Materazzi hat viele bewunderungswürdige Eigenschaften. Ich wusste nicht, dass der Wille zu menschlicher Größe ebenfalls dazugehört.«
»Ihr seid ein großer Menschenkenner, Marschall. Was würde Eitelkeit tun? Ich habe mit Conn gesprochen und ihm klargemacht, dass die Idee, Cale für seinen Sieg über ihn zu bestrafen, ihn, Conn, lächerlich machen würde. Er schloss sich sogleich meiner Ansicht an.«
»Ihr könnt diesen Jungen aber nicht in Memphis herumspazieren lassen. Die Stadtväter würden das nicht hinnehmen und ich auch nicht. Das kann ich nicht dulden, Vipond.«
»Selbstverständlich nicht. Alle wissen doch, dass er sich in meiner Obhut befindet. Wenn er flieht, werde ich alle Kritik auf mich ziehen.«
»Wollt Ihr ihn etwa ziehen lassen?«
»Das habe ich nicht vor. Dieser Junge hat ganz außergewöhnliche Fähigkeiten. Außerdem sind er und seine Gefährten die einzige verlässliche Quelle, aus denen wir unsere Kenntnis über die Erlösermönche und ihre Absichten schöpfen. Wir müssen noch viel mehr wissen. Ich habe schon Maßnahmen eingeleitet, aber ich brauche sie, um die Auskünfte zu bestätigen. Sie sind einfach zu wertvoll – viel wertvoller als ein edles Schwert oder die zerbeulten Köpfe einer Schar verzogener Aristokratensöhnchen, die endlich ihre Lektion bekommen haben.«
»Wollt Ihr mich herausfordern?«
»Wenn ich Mylord missfallen haben sollte, zögere ich nicht zurückzutreten.«
Materazzi stöhnte laut auf.
»Da haben wir es! Es ist wieder einmal so weit. Man kann kein kritisches Wort an Euch richten, ohne dass Ihr explodiert. Je älter Ihr werdet, Vipond, desto empfindlicher reagiert Ihr.«
»Verzeiht mir, Marschall«, sagte Vipond mit geheucheltem Bedauern. »Mein Unglück neulich in den Scablands ist mir mehr auf den Magen geschlagen, als ich wahrhaben wollte.«
»Da habt Ihr wohl Recht! Mein lieber Vipond,
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