Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
verstehen und sie einfach in Frieden lassen. »Fürs Protokoll, ich bin nicht stolz darauf, wie ich mich ihm gegenüber verhalte.«
»Warum redest du dann nicht wenigstens mit dem Kerl?«
»Weil es mir allein beim Gedanken an ihn den Magen umdreht.« Clara schüttelte den Kopf. »Ich weiß, es ist schäbig – ich weiß, ich bin schäbig … Aber ich … kann mich im Moment einfach nicht mit ihm auseinandersetzen. Wirklich nicht. Mein Leben ist so schon kompliziert genug. Er ist im Moment nicht von Bedeutung für mich.«
Leo blickte konzentriert auf Claras rosa Teppich. Er wägte jedes Wort ab, bevor er sprach. »Das weiß ich doch«, begann er mit sanfter Stimme. »Und ich weiß auch, wie schrecklich du Sebastian vermisst. Das kann dir niemand verdenken. Aber die Wahrheit …«
»Schau, Leo«, unterbrach sie ihn mit leiser, unwirscher Stimme. »Ich will das jetzt nicht diskutieren. Ich fühle mich im Moment einfach alles andere als fröhlich und habe keinerlei Verlangen, unter Leuten zu sein. Also mach das Ganze bitte nicht noch schwerer für mich, als es ohnehin schon ist. Ich will nicht auch noch dir Weihnachten verderben. Okay?«
»Na ja«, versuchte Leo es ein letztes Mal, »vielleicht fühlst du dich nach Tante Billies superstarkem Eierlikör nicht mehr ganz so elend.«
Clara verdrehte die Augen, aber sie war nicht überrascht darüber, dass ihr Bruder nicht so schnell aufgab. »Es tut mir leid, und ich hab dich wirklich lieb, aber mein Entschluss steht fest.« Sie hoffte, dass er nun verstanden hatte, und schaltete das Licht auf ihrem Nachttisch aus. Dann schob sie verstohlen die rosa Kaschmirfäustlinge unter ihr Kissen, in der Hoffnung, dass ihr Bruder sie nicht bemerkt hatte.
»Also gut, du lässt mir keine andere Wahl«, erklärte Leo und hob im Dunkeln die Arme. »Ich habe mir das eigentlich für mein Schlussplädoyer aufgehoben, aber … willst du es dir wirklich entgehen lassen, Tante Billies diesjährigen Weihnachtspulli zu sehen? Auf der Straße wird gemunkelt, er braucht Batterien und blinkt in zwei verschiedenen Rhythmen.« Mit wackelnden Augenbrauen grinste er seine Schwester an, in dem offenkundigen Versuch, sie aufzuheitern.
Aber Clara bekam kein Lächeln zustande. »Himmel! Ich hab nein gesagt, Leo!«, schnauzte sie ihn mit geballten Fäusten lauthals an. »Und jetzt lass mich verdammt noch mal in Frieden!«
Leo erstarrte. Er war es nicht gewöhnt, von seiner Schwester angebrüllt zu werden, und wirkte wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
»Geh einfach!«, schickte Clara noch hinterher, »raus!«
»Na gut«, Leo musste schwer schlucken. »Dann fröhliche Weihnachten.« Mit gequältem Blick schlüpfte er aus Claras Zimmer und machte leise die Tür hinter sich zu.
Clara hasste es, ihren Bruder zu verletzen – den wichtigsten Menschen in ihrem Leben –, besonders an dem Feiertag, der ihnen beiden in der Vergangenheit immer so viel bedeutet hatte.
Voller Kummer beschloss sie, sich gleich am nächsten Morgen bei ihm zu entschuldigen. Sie konnte nur beten, dass er ihr ihre gemeine Selbstsüchtigkeit vergeben würde. Ganz zu schweigen von ihrer erbärmlichen Unfähigkeit, ihren Schmerz zu bewältigen.
Clara wartete, bis sie Libbys Wagen aus der Einfahrt rollen hörte, bevor sie in Tränen ausbrach. Hemmungslos schluchzend vor Sehnsucht nach Sebastian – und Sehnsucht danach, dass die schmerzende Leere in ihrer Brust endlich verschwand –, holte sie die Fäustlinge unter ihrem Kopfkissen hervor. Sie schmiegte ihr Gesicht daran, rollte sich zusammen, schloss die Augen und hoffte, sie würde bald einschlafen.
Januar
16
Nachdem Leo alle drei demütigen, aufrichtigen Entschuldigungen dafür, dass sie ihm Weihnachten verdorben hatte, angenommen hatte, holte er Clara ab, damit sie sich Richter Bennetts Apartment in der Stadt ansah. Nachdem sie ganze dreißig Sekunden in der Wohnung war, befand Clara, dass diese ihre Bedürfnisse erfüllen würde. Glücklicherweise war sie weder ein besonders heikler Mieter, noch hatte sie eine bestimmte Vorstellung von ihrem Zuhause. Nein. Das war schon lange vorbei. Die Wohnung war ruhig, und das war alles, was im Moment zählte.
Wie es ihr Bruder vorhergesehen hatte, bot der Richter Clara bei der Miete einen fairen Deal an. Im Gegenzug versicherte sie, das Apartment für potenzielle Käufer ordentlich und »wohnlich« zu halten. Zu diesem Zweck überließ er ihr eine leere Kommode, zwei Klappstühle und eine Tischtennisplatte, die Clara benutzen konnte.
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