Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
Mittwoch war – was bedeutete, dass Lincoln und Meg offenbar schon unter der Woche beieinander übernachteten – und Meg ihm bereits Kosenamen gab, mutmaßte Clara, dass ihre Beziehung mittlerweile ein ernsteres Stadium erreicht hatte, als Lincoln es ihr anfangs beschrieben hatte. Sie freute sich für ihren verwitweten Freund; er hatte eine neue Chance in der Liebe verdient. Und nach dem zu urteilen, was Lincoln ihr erzählt hatte, klang es so, als sei Meg eine tolle Frau. Davon, dass sie außerdem offenbar ein ziemlich heißes Luder war, ganz zu schweigen.
Clara klopfte sich ein paarmal auf die Oberschenkel, rief lockend »Komm, Mon Chéri« und schlenderte gähnend in die Küche.
Sie trug Sebastians altes Harvard-T-Shirt, aber keine Pyjamahose und stellte sich mit verschränkten Armen vor die Kühlschranktür, an der eine Kopie ihrer Zeitkapsel-Liste hing. »Also, was sollen wir heute machen, Kleiner? Was meinst du?«
Mon Chéri bellte.
»Ja, du willst Frühstück, das meinst du, was?«, murmelte sie. Nachdem sie ihm eine Schale Trockenfutter hingestellt hatte, schenkte sie sich eine Tasse Kaffee ein, nahm die Zeitkapsel-Liste von der Kühlschranktür und ging hinüber ins Wohnzimmer, das genau wie alle anderen Bereiche der Wohnung bloß ein paar vereinzelte Möbel enthielt.
Sie setzte sich auf einen Klappstuhl an die Tischtennisplatte und studierte ihre Liste. Einige Dinge hatte sie bereits in der Vergangenheit gemacht, zum Beispiel einmal Geschworene an einem echten Schwurgericht sein (nicht annähernd so »spitzenmäßig«, wie sich eine Zehnjährige das vorstellt), süße Frühstücksflocken & McDonald’s während der Woche essen (nicht bloß am Wochenende!), mit Delfinen schwimmen (wenigstens etwas Positives hatte die Delfintherapie nach Sebastians Tod also doch gebracht). In einem Heißluftballon mitfliegen – das hatte sie zusammen mit Sebastian während ihres Urlaubs in der Toskana gemacht. Wie romantisch sie sich das vorgestellt hatte, bis sie in den engen, wackeligen Weidenkorb geklettert war, der eher für den Transport von ein paar riesigen Brotlaiben geeignet schien. Als sie auch noch in Luftlöcher geraten waren, hatte sie ihr Talent dafür entdeckt, so spitz und so lange zu schreien, dass der nette, ältere italienische Fremdenführer sich mit beiden Händen die Ohren zuhalten musste und sie anfauchte, sie solle »Verdammte noch male, die Glape ’alten!«. Clara strich die Punkte mit dem Rotstift von ihrer Liste.
Dann brütete sie über zwei Punkten, die ihr besonders weit hergeholt, wenn nicht gar unmöglich umzusetzen erschienen: ein Heilmittel gegen Herzanfälle finden und Präsidentin der USA werden . Clara wusste verdammt gut, dass der einzige »Anfall«, für den sie realistisch betrachtet in der näheren Zukunft ein Heilmittel finden würde, ein Heißhungeranfall auf Big Macs sein würde, zu dem sie von Zeit zu Zeit neigte. Und da sich ihr Interesse für Politik auf ein Minimum beschränkte, verspürte sie keinerlei Ambitionen mehr, Präsidentin der USA zu werden.
Am Ende blieben Claras Augen an Morsezeichen lernen hängen. Mit gerunzelter Stirn zog sie diesen Punkt ernsthaft in Betracht. »Oh, wem will ich was vormachen, Mon Chéri? Das ist absurd. Wozu sollte ich das Morse-Alphabet lernen? Wann sollte ich das jemals brauchen? Etwa um mit meinen Bierhändlern zu verhandeln?« Sie schüttelte den Kopf und dachte darüber nach, ob ihr kleiner Plan wirklich so verrückt war, wie es ihr plötzlich vorkam. »Andererseits steht es nun mal auf der Liste«, rief sie sich selbst in Erinnerung, »weshalb mir wohl kaum eine Wahl bleibt, oder?« Sie zog die Augenbrauen zusammen und kaute an ihren Nägeln, während sie weiter darüber nachgrübelte. Seufzend langte Clara nach ihrem Laptop auf der Tischtennisplatte und drückte auf den Anschaltknopf. »Also, was meinst du, Kleiner? Sollen wir eine Onlinerecherche zu Morsezeichen machen?«
Mon Chéri spitzte sein einziges Ohr, legte den Kopf schief und schaute sie an.
»Ja … Mir ist auch nicht wirklich danach«, gab Clara zu, als ihr Handy klingelte. Gerade noch mal davongekommen.
Libby, die einen neuen Reinigungsmittel-Jingle in einem Studio in der Nähe von Claras Wohnung in der Innenstadt aufgenommen hatte, wollte wissen, ob sie gemeinsam einen Winterspaziergang machen sollten. »Ein bisschen frische, kalte Luft würde dir sicher guttun«, versuchte sie Clara zu überzeugen.
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Clara zur
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