Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
eine bedeutungsvolle Pause. »Genau.« Er räusperte sich, als habe ihn Clara gründlich missverstanden und als überlege er, ob er mit der Wahrheit herausrücken solle. »Wann seid du und Mon Chéri gestern eigentlich gegangen?«, fragte er dann.
»Ach, nicht allzu spät. Kurz vor Mitternacht«, flunkerte Clara, offenbar hatte er keine Ahnung, dass sie sich erst gegen sechs Uhr still und heimlich aus seiner Vollkörperumarmung – mit angehaltenem Atem und so vorsichtig wie möglich, um ihn nicht zu wecken – gelöst hatte. Trotzdem hatte sie noch ein paar Augenblicke innegehalten und ihn gedankenverloren betrachtet, bevor sie durch die Tür hinausgeschlüpft war.
»Tja, dann schulde ich dir wohl einen Nachholabend, an dem ich bei vollem Bewusstsein bleibe. Versprochen!«
Sie kicherte. »Sehr gern.«
»Hättest du am Dienstag Zeit für ein Abendessen? Mich gelüstet es nach Syn-Kow.«
»Klar«, antwortete Clara vielleicht einen Tick zu schnell. Und dann, aus irgendeinem Grund, tat sie etwas, was sie zuvor noch nie gemacht hatte. Sie sagte: »Sollen wir Meg fragen, ob sie mitkommen will?«
»Eigentlich gern … aber offenbar ist sie dann noch in Minneapolis.« Lincolns Stimme verriet seine Verwunderung und einen Anflug von Verdrossenheit.
»Oh, ich dachte, du hattest erwähnt, dass sie heute zurückkommt.«
»Das war der ursprüngliche Plan, aber als ich vorhin unter der Dusche war, hat sie mir eine Nachricht hinterlassen, dass sie ihren Aufenthalt überraschend noch verlängern wird und erst am Mittwoch zurückkommt. Ziemlich seltsam. Ich weiß, dass Meg eigentlich morgen und am Dienstag arbeiten muss. Ich habe versucht, sie zurückzurufen, aber sie hat nicht abgenommen.«
»Hm.« Clara zuckte mit den Schultern und mutmaßte: »Vielleicht hat sie es nicht gehört.«
»Ich weiß nicht. Sie hat das Telefon eigentlich immer bei sich. Ach, das erinnert mich an was.« Lincolns Stimmung schien sich aufzuhellen. »Wie meldet sich der Brachiosaurus am Telefon?«
»Ich weiß nicht. Keine Ahnung.«
» Gar nicht «, sagte er lachend. »Das Telefon wurde erst achtzehnhundertsechsundsiebzig erfunden.«
»Ach, Lincoln.« Sie kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Lincoln. Lincoln. Lincoln. Was mach ich bloß mit dir?«
Es war ein sonniger, leicht windiger Nachmittag – siebenundzwanzig Grad und keine Wolke am Himmel –, und Clara und Leo hatten während der malerischen Fahrt nach River Pointe alle Fenster seines Wagens geöffnet, anstatt die Klimaanlage einzuschalten. »Mist!«, zischte Clara, als sie in die Einfahrt des Hauses ihrer Mutter einbogen. Denn dort, keine dreißig Meter von ihr entfernt, stand Todd. Mit seinem unhandlichen Werkzeugkasten für Klavierstimmer war er soeben aus dem Haus getreten und schlenderte hinüber zu seinem Porsche, neben dem sie gleich anhalten würden.
»Mist!«, zischte nun auch Leo und trat auf die Bremse, sodass das Auto bloß noch im Schneckentempo fuhr, und ein nervöser Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, als er sich zu seiner langsam in Panik geratenden Schwester umwandte. »Bring mich bitte nicht um. Ich hab vorhin am Telefon ja versucht , dir zu sagen, dass Libby einen Klaviernotfall hat, aber du hast aufgelegt, bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen konnte!«
»Mist, Mist, Mist , Leo!«, flüsterte Clara und überlegte hektisch, wie sie dem attraktiven Männermodel noch ausweichen könnte. Dass sie Sex mit ihm gehabt hatte – vermutlich sogar mit Käsedip – war bedauerlich genug, aber dass sie sich danach wie ein unreifer Teenager aufgeführt hatte, war der eigentliche Grund, warum sie nun von heftigen Schuldgefühlen überfallen wurde. »Warum hast du’s mir nicht einfach auf der Fahrt hierher gesagt, Blödmann?!« Sie boxte Leo in den Arm. Mit heftig klopfendem Herzen rutschte Clara immer tiefer auf dem hellbraunen Ledersitz, bis sie sich schließlich, in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden, fast im Fußraum zusammengekauert hatte.
»Tut mir leid. Ich hab’s total vergessen. Du hast mich so abgelenkt mit deiner Geschichte von eurer ›versehentlichen‹«, er machte Gänsefüßchen mit den Fingern, »Übernachtungsparty«, flüsterte Leo und parkte den Wagen.
»Es war versehentlich!« Clara liebäugelte mit der Gummimatte und überlegte, ob darunter wohl ein gutes Versteck war.
»Was zum Teufel machst du da?«
»Was machst du ? Ich kann ihm unmöglich gegenübertreten!«, schrie sie flüsternd und bettelte: »Dreh um!
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