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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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bestens im Blickfeld gehabt hatte, während er selbst gut versteckt war.
    Niemand hatte den Schuss gehört. Lenny saß draußen auf der Veranda in seinem Rollstuhl und las eines der vielen Bücher, die er sich jede Woche in der Bibliothek von Clanton auslieh. Sein Vater trug gerade die Post aus, seine Mutter war im Bargain City einkaufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach verspürte Lenny keine Schmerzen und war sofort tot. Die Kugel drang auf der rechten Kopfseite knapp über dem Kiefer ein und verursachte oberhalb seines linken Ohrs eine große Austrittswunde.
    Als seine Mutter ihn fand, war er schon einige Zeit tot.
    Irgendwie gelang es ihr, sich zu beherrschen und weder die Leiche noch etwas anderes am Tatort zu berühren. Die Veranda war über und über mit Blut bespritzt. Es tropfte sogar die Treppenstufen hinunter.
    Wiley hörte die Meldung im Polizeifunk. Er rief mich an und sagte: »Es geht los. Fargarson, der verkrüppelte Junge, ist tot.« Schauer jagten mir über den Rücken, Wiley fuhr bei der Redaktion vorbei, ich sprang in seinen Pick-up, und schon waren wir unterwegs zum Tatort. Keiner von uns sagte etwas, aber wir dachten beide das Gleiche.
    Lenny war immer noch auf der Veranda. Der Schuss hatte ihn aus dem Rollstuhl geschleudert. Er lag auf der 408

    Seite, mit dem Gesicht in Richtung Haus. Sheriff McNatts Bitte, keine Fotos zu machen, kamen wir bereitwillig nach. Die Bilder wären sowieso nicht abgedruckt worden.
    Freunde und Verwandte der Fargarsons trafen ein und wurden von den Deputys an eine Nebentür verwiesen.
    McNatt benutzte seine Männer, um die Leiche auf der Veranda vor neugierigen Blicken abzuschirmen. Ich wich ein paar Schritte zurück und versuchte, die grausige Szene in mich aufzunehmen – Polizisten beugten sich über Lenny, während jene, die ihn kannten und mochten, einen Blick auf ihn zu erhaschen versuchten und dann ins Haus eilten, um seine Eltern zu trösten.
    Nachdem die Leiche schließlich auf eine Bahre gelegt und in einen Krankenwagen geschoben worden war, kam Sheriff McNatt zu mir herüber und lehnte sich neben mir gegen den Pick-up.
    »Denken Sie das Gleiche wie ich?«, fragte er.
    »Ja, Sheriff.«
    »Können Sie mir eine Liste der Geschworenen besorgen?«
    »Geben Sie mir eine Stunde. Was haben Sie vor?«
    »Wir müssen die Leute warnen.«
    Als wir wegfuhren, fingen die Deputys an, den dichten Wald um das Haus der Fargarsons zu durchkämmen.
    Ich brachte die Liste ins Büro des Sheriffs und ging sie mit ihm zusammen durch. 1977 hatte ich den Nachruf für den Geschworenen Nummer fünf, Mr Fred Bilroy, geschrieben. Bilroy war ein pensionierter Waldhüter gewesen und ganz plötzlich an einer Lungenentzündung gestorben. Soweit ich wusste, waren die übrigen noch am Leben.
    McNatt gab die Liste an drei seiner Deputys weiter. Sie 409

    schwärmten aus, um Neuigkeiten zu überbringen, die niemand hören wollte. Ich bot mich an, Callie Ruffin zu informieren.
    Miss Callie stand auf der Veranda und sah Esau und Sam bei einer Runde Dame zu. Sie freuten sich, mich zu sehen, aber die Stimmung schlug sehr schnell um. »Ich habe schlechte Neuigkeiten, Miss Callie«, sagte ich mit ernstem Gesicht. Sie warteten.
    »Lenny Fargarson, der verkrüppelte Junge, der beim Prozess einer der Geschworenen war, ist heute Nachmittag ermordet worden.«
    Sie schlug die Hand vor den Mund und ließ sich in ihren Schaukelstuhl fallen. Sam stützte sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. Ich schilderte kurz, was geschehen war.
    »Er war so ein frommer Christ«, sagte Miss Callie.
    »Bevor die Beratung begann, haben wir zusammen gebetet.« Sie weinte nicht, aber viel hätte nicht gefehlt.
    Esau ging ins Haus, um ihr eine Tablette für ihren Blutdruck zu holen. Er und Sam setzten sich neben sie, während ich die Schaukel nahm. Wir saßen zusammen-gedrängt auf der kleinen Veranda, und eine Weile wurde kaum etwas gesagt. Miss Callie starrte vor sich hin.
    Es war ein warmer Frühlingsabend. Der Halbmond tauchte alles in ein weiches Licht. In Lowtown wimmelte es nur so von Kindern auf Fahrrädern und Nachbarn, die sich über den Gartenzaun hinweg miteinander unterhielten. Am Ende der Straße war ein lautstarkes Basketballspiel im Gang. Eine Bande Zehnjähriger interessierte sich etwas zu sehr für meinen Spitfire, sodass Sam sie wegscheuchte. Es war erst das zweite Mal, dass ich nach Einbruch der Dunkelheit bei den Ruffins war.
    »Ist es abends hier immer so?«, fragte ich schließlich.
    410

    »Ja, wenn

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