Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
der Stadt.« Ich wusste, dass sie ihn gehört hatte. Es war offensichtlich, dass die beiden sich schon seit vielen Jahren in den Haaren lagen. Ihr Chef sei da. Was wollten wir?
    »Wir wollen zu ihm«, erwiderte Harry Rex. »Warum sollten wir sonst hier sein?« Sie rief Wilbanks an, während wir warteten. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«, bellte Harry Rex nach einer Weile.
    »Na, dann gehen Sie rein«, sagte sie schließlich.
    413

    Wahrscheinlich wollte sie uns nur loswerden. Wir stiegen die Treppe hinauf. Wilbanks’ Büro war riesig, mindestens neun Meter breit und genauso lang, mit einer drei Meter hohen Decke und einer Reihe von Fenstertüren, die auf den Clanton Square hinausgingen. Das Gebäude lag auf der Nordseite des Platzes, direkt gegenüber der Times, mit dem Gericht dazwischen. Zum Glück konnte ich Luciens Büro von meinem Balkon aus nicht sehen.
    Er begrüßte uns so gleichgültig, als hätten wir gerade eine lange, tiefe Meditation unterbrochen. Obwohl es noch recht früh war, vermittelte sein mit Papieren übersäter Schreibtisch den Eindruck eines Mannes, der die ganze Nacht gearbeitet hatte. Wilbanks hatte lange graue Haare, die ihm bis in den Nacken fielen, ein altmodisches Ziegenbärtchen und die müden roten Augen des langjährigen Trinkers. »Um was geht es?«, fragte er sehr langsam. Wir starrten uns an und versuchten, so viel Verachtung wie möglich in unseren Blick zu legen.
    »Gestern hat es einen Mord gegeben, Luden«, sagte Harry Rex. »Lenny Fargarson, der verkrüppelte Junge, der einer der Geschworenen beim Prozess gewesen ist.«
    »Ich nehme an, dass Sie inoffiziell hier sind«, sagte Wilbanks zu mir.
    »So ist es«, erwiderte ich. »Ganz und gar inoffiziell.
    Sheriff McNatt hat mich gebeten, bei Ihnen vorbeizuschauen und Hallo zu sagen. Ich habe Harry Rex gebeten, mich zu begleiten.«
    »Dann ist das nur ein Höflichkeitsbesuch?«
    »Möglich. Aber vielleicht wollen wir auch nur ein wenig über den Mord plaudern.«
    »Ich hab davon gehört«, sagte er.
    »Hast du in letzter Zeit mit Danny Padgitt gesprochen?«, wollte Harry Rex wissen.
    414

    »Ich habe ihn seit seiner Entlassung nicht gesehen.«
    »Ist er im County?«
    »Er ist in Mississippi, aber wo genau, weiß ich nicht.
    Wenn er die Grenze des Staates ohne Genehmigung übertritt, verstößt er gegen seine Bewährungsauflagen.«
    Warum hatten sie ihn eigentlich nicht weggeschickt, beispielsweise nach Wyoming? Es kam mir sonderbar vor, dass man ihm vorschrieb, in der Nähe des Ortes zu bleiben, an dem er seine Verbrechen begangen hatte. Es wäre besser gewesen, wenn sie ihn losgeworden wären!
    »Sheriff McNatt würde gern mit ihm reden«, sagte ich.
    »Oh, wirklich? Und warum sollte das Sie und mich was angehen? Sagen Sie dem Sheriff, er soll ruhig mit ihm reden.«
    »So einfach ist das nicht, Lucien, und das weißt du auch«, mischte sich Harry Rex ein.
    »Liegen dem Sheriff Beweise gegen meinen Mandanten vor? Hast du schon mal was von ›hinreichendem Verdacht‹ gehört, Harry Rex? Man kann nicht immer die üblichen Verdächtigen zusammentreiben. Dazu braucht es schon etwas mehr.«
    »Er hat die Geschworenen bedroht«, sagte ich.
    »Vor neun Jahren.«
    »Trotzdem war es eine Drohung, und wir alle erinnern uns daran. Jetzt, zwei Wochen, nachdem er entlassen wurde, ist einer der Geschworenen tot.«
    »Das reicht nicht. Wenn es mehr Beweise gäbe, würde ich mich vielleicht mit meinem Mandanten beraten. Aber zurzeit ist es bloße Spekulation. Und für Klatsch und Tratsch ist diese Stadt immer zu haben.«
    »Du weißt nicht, wo er ist, nicht wahr, Luden?«, fragte Harry Rex.
    415

    »Ich gehe davon aus, dass er auf der Insel ist, zusammen mit dem Rest von ihnen.« Das »ihnen« klang, als hielte er die Padgitts für eine Horde Ratten.
    »Was, wenn noch ein Geschworener erschossen wird?«, bedrängte ihn Harry Rex.
    Lucien ließ einen Notizblock auf seinen Schreibtisch fallen und stützte sich mit den Ellbogen auf. »Was soll ich denn machen, Harry Rex? Den Jungen anrufen und sagen:
    ›He, Danny, ich bin mir sicher, dass du deine Geschworenen nicht umbringst, aber wenn du es zufällig doch tust, sei bitte ein guter Junge und hör damit auf‹?
    Glaubst du, er würde mir zuhören? Das wäre alles nicht passiert, wenn dieser Idiot auf meinen Rat gehört hätte.
    Ich hatte damals darauf bestanden, dass er nicht zu seiner Verteidigung aussagt. Er ist ein Idiot, Harry Rex! Du bist Anwalt, und du hast weiß Gott auch schon

Weitere Kostenlose Bücher