Die Liste
dämliche Mandanten gehabt. Man hat sie nicht unter Kontrolle.«
»Was, wenn noch ein Geschworener erschossen wird?«, wiederholte Harry Rex.
»Dann wird eben noch ein Geschworener erschossen.«
Ich sprang auf und stürmte auf die Tür zu. »Sie sind ja krank!«, rief ich.
»Kein Wort davon in Ihrer Zeitung«, knurrte er mir nach.
»Scheren Sie sich zum Teufel!«, brüllte ich, während ich die Tür hinter mir zuschlug.
Am späten Nachmittag rief Mr Magargel vom Bestattungsinstitut an und fragte, ob ich kurz vorbeischauen könne. Mr und Mrs Fargarson seien gekommen, um einen Sarg auszusuchen und die letzten Vorbereitungen für die Beerdigung zu treffen. Wir trafen uns in Raum C, dem kleinsten Aufbewahrungsraum. Er 416
wurde nur selten benutzt.
Pastor J. B. Cooper von den Maranatha-Urbaptisten hatte sie begleitet und war ihnen eine große Hilfe. Sie verließen sich bei jeder Entscheidung voll und ganz auf ihn.
Mindestens zweimal im Jahr traf ich mich hier mit einer Familie, die einen Angehörigen verloren hatte. Fast immer war es ein Autounfall oder ein grauenhaftes Unglück auf einer Farm, irgendetwas Unerwartetes. Die Familienmitglieder waren zu erschüttert, um klar denken zu können, zu getroffen, um Entscheidungen zu fällen. Die Starken unter ihnen standen die schwere Prüfung wie Schlafwand-ler durch. Die Schwachen waren oft so benommen, dass sie nur noch weinen konnten. Mrs Fargarson war stark, aber der Schock, ihren Sohn mit halb weggeschossenem Kopf zu finden, hatte aus ihr ein zitterndes Gespenst gemacht. Mr Fargarson starrte nur auf den Boden.
Pastor Cooper verschaffte mir mit viel Taktgefühl die wichtigsten Informationen für den Nachruf. Vieles davon wusste er bereits. Seit Lenny sich vor fünfzehn Jahren an der Wirbelsäule verletzt hatte, hatte er sich danach ge-sehnt, in den Himmel zu kommen, wo sein Körper wieder gesund sein und er Hand in Hand mit dem Herrn spazieren gehen würde. Wir formulierten etwas in dieser Richtung, und Mrs Fargarson war tief gerührt. Sie gab mir ein Foto, auf dem Lenny mit einer Angelrute in der Hand an einem See saß. Ich versprach, es auf der Titelseite zu drucken.
Wie alle trauernden Eltern bedankten sie sich überschwänglich bei mir und bestanden darauf, mich beim Abschied zu umarmen. Trauernde klammern sich immer an andere Menschen, vor allem im Bestattungsinstitut.
Ich hielt bei Pepe, kaufte ein paar mexikanische Gerichte zum Mitnehmen und fuhr dann nach Lowtown. Sam spielte gerade Basketball, Miss Callie hatte sich hingelegt, 417
und Esau bewachte mit der Schrotflinte in der Hand das Haus. Nach einer Weile kam Miss Callie auf die Veranda, und wir fingen an zu essen. Doch sie hatte keinen Hunger und nahm nur wenig von dem mexikanischen Essen, das ihr fremd war. Esau sagte, dass sie den ganzen Tag fast nichts gegessen habe.
Ich holte mein Backgammonbrett aus dem Wagen und brachte Sam das Spiel bei. Esau hätte lieber Dame gespielt.
Miss Callie war überzeugt davon, dass jede Aktivität, bei der ein Würfel geworfen wurde, eine schwere Sünde war, aber sie war nicht in Stimmung für einen Vortrag. Wir saßen stundenlang auf der Veranda, bis tief in die Nacht hinein, und sahen den Ritualen von Lowtown zu. Die Sommerferien hatten gerade begonnen, und die Tage wurden immer länger und heißer.
Buster, mein Teilzeit-Wachhund, fuhr alle halbe Stunde vorbei. Vor dem Haus der Ruffins wurde er langsamer, ich winkte ihm zu, dass alles in Ordnung sei, dann rollte er davon und kehrte in die Auffahrt meines Hauses zurück.
Ein Streifenwagen stellte sich zwei Häuser von uns entfernt an den Straßenrand und blieb einige Zeit dort stehen. Sheriff McNatt hatte drei schwarze Deputys eingestellt und zwei von ihnen angewiesen, ein Auge auf das Haus zu haben.
Sie waren nicht die Einzigen, die Wache hielten.
Nachdem Miss Callie zu Bett gegangen war, deutete Esau über die Straße auf die Veranda des Hauses gegenüber, in dem die Braxtons lebten. »Tully da drüben«, sagte er, »hat alles im Blick.«
»Er hat gesagt, dass er die ganze Nacht aufbleiben wird«, fügte Sam hinzu. Lowtown war heute Nacht ein gefährlicher Ort, um eine Schießerei anzufangen.
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Um elf verabschiedete ich mich. Ich überquerte die Bahnschienen und fuhr durch die leeren Straßen von Clanton. Die Stadt pulsierte vor Anspannung und Erwartung, denn was immer gerade begonnen hatte, es war noch nicht vorbei.
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iss Callie bestand darauf, an der Beerdigung von Lenny Fargarson
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