Die Liste
Konkurrenten – sie schrieben für große Tages-zeitungen, deren Lesergruppen sich kaum überschnitten.
Die meisten meiner Abonnenten bezogen eine Tageszeitung aus Memphis oder Jackson. Die aus Tupelo war ebenfalls recht beliebt.
Offen gestanden verlor ich langsam das Interesse; nicht an der aktuellen Krise, sondern am Journalismus als Beruf.
Die ganze Welt stand mir offen. Während ich mich mit zwei Veteranen meines Berufsstandes unterhielt, die beide älter waren als ich und etwa vierzigtausend Dollar im Jahr verdienten, konnte ich kaum glauben, dass mir jemand eine Million Dollar bar auf die Hand zahlen wollte. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren.
Schließlich verabschiedeten sie sich, um weiter zu recherchieren. Einige Minuten später bekam ich einen Anruf von Sam. »Sie müssen sofort herkommen«, drängte er.
Auf der Veranda der Ruffins harrte ein kleines Häuflein Getreuer aus. Alle vier sahen übernächtigt aus und 431
brauchten dringend Schlaf. Sam schleuste mich durch das Feldlager in die Küche, wo Miss Callie am Tisch saß und Butterbohnen enthülste. Sonst ging sie dazu immer auf die hintere Veranda. Sie begrüßte mich mit einem warmen Lächeln und der üblichen Umarmung, aber ihr war anzumerken, dass ihr etwas auf der Seele lag. »Kommen Sie«, sagte sie. Sam nickte, und wir folgten ihr in ihr kleines Schlafzimmer. Sie schloss die Tür hinter uns, als würde draußen jemand herumlungern, und ging zu einem schmalen Wandschrank. Wir warteten etwas verlegen, während sie darin herumkramte.
Nach einer Weile zog sie ein altes Notizbuch hervor, das sie offenbar sorgsam versteckt hatte. »Es ergibt einfach keinen Sinn«, sagte sie, während sie sich mit dem Notizbuch in der Hand auf den Bettrand sinken ließ. Sam setzte sich neben sie, ich rückte einen alten Schaukelstuhl heran. Miss Callie blätterte durch das Notizbuch. »Da ist es«, sagte sie.
»Wir haben damals hoch und heilig versprochen, dass wir nie darüber reden würden, was bei der Beratung der Geschworenen geschehen ist«, fuhr sie fort, »aber das ist viel zu wichtig. Ich kann nicht schweigen. Als wir Mr Padgitt für schuldig befunden haben, haben wir schnell und einstimmig entschieden. Aber als es dann um die Todesstrafe ging, waren einige dagegen. Ich wollte ganz sicher niemanden in die Todeszelle schicken, aber ich hatte versprochen, das Gesetz zu befolgen. Die Diskussion wurde immer heftiger, und harte Worte fielen, ja sogar Anschuldigungen und Drohungen. Es war nicht sehr schön, sich das anzuhören. Als die Fronten sich geklärt hatten, waren drei Geschworene gegen die Todesstrafe, und sie wollten ihre Meinung um keinen Preis ändern.«
Sie zeigte mir eine Seite in ihrem Notizbuch. In ihrer klaren, unverwechselbaren Handschrift hatte sie zwei 432
Spalten auf die Seite gezeichnet. In der einen standen neun Namen, in der anderen nur drei – L. Fargarson, Mo Teale, Maxine Root. Ich starrte auf die Namen und dachte, dass ich vielleicht die Liste des Mörders vor mir hatte.
»Wann haben Sie das geschrieben?«, fragte ich.
»Ich habe mir während des Prozesses ständig Notizen gemacht«, erwiderte sie.
Warum sollte Danny Padgitt die Geschworenen töten, die sich geweigert hatten, ihn in die Todeszelle zu schicken? Jene Geschworenen, die ihm gewissermaßen das Leben gerettet hatten?
»Er bringt die Falschen um, oder?«, warf Sam ein.
»Wenn man sich rächen will, bringt man doch nicht die Leute um, die versucht haben, einen zu retten.«
»Wie ich schon sagte, es ergibt einfach keinen Sinn«, sagte Miss Callie.
»Sie unterstellen zu viel«, wandte ich ein. »Sie gehen davon aus, dass er informiert wurde, wie die Geschworenen abgestimmt haben. Soweit ich weiß, haben die Geschworenen nie gesagt, wie die Abstimmung ausgesehen hat. Kurze Zeit später interessierte sich wegen des Gerichtsbeschlusses zur Aufhebung der Rassentrennung schon niemand mehr für den Prozess. Padgitt wurde noch am Tag des Schuldspruchs nach Parchman verfrachtet.
Vermutlich nimmt er sich einfach die Geschworenen zuerst vor, an die er leichter herankommt, und bei Mr Fargarson und Mr Teale war es eben recht einfach.«
»Das wäre aber ein sehr großer Zufall«, meinte Sam.
Wir überlegten wieder eine Weile. Ich war nicht sicher, ob meine Theorie plausibel war. Dann fiel mir etwas anderes ein: »Alle zwölf Geschworenen haben ihn schuldig gesprochen, und zwar unmittelbar, nachdem er 433
seine Drohung gegen sie ausgestoßen hat.«
»Ja,
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