Die Liste
gut gehütetes Geheimnis auf Miss Callies Veranda.
Für die Woche vor dem 4. Juli wurde hastig ein Familientreffen angesetzt. Da mein Haus fünf leere Schlafzimmer hatte und sich nach Leben sehnte, bestand ich darauf, dass einige Ruffins bei mir übernachteten. Seit 1970, als Miss Callie und ich uns kennen gelernt hatten, war die Familie erheblich gewachsen. Bis auf Sam waren alle verheiratet, und inzwischen waren einundzwanzig Enkel geboren worden. Sam, Miss Callie und Esau nicht mit eingerechnet, gab es fünfunddreißig Ruffins, und vierunddreißig von ihnen kamen nach Clanton. Leons Frau blieb in Chicago, weil sie sich um ihren kranken Vater kümmern musste.
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Von den vierunddreißig sollten dreiundzwanzig ein paar Tage bei mir bleiben. Sie trudelten aus verschiedenen Teilen des Landes ein, meist aus dem Norden, und kamen den ganzen Tag über in Kleingruppen an. Jeder Neuankömmling wurde mit großem Hallo begrüßt. Als Carlota mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern um drei Uhr morgens aus Los Angeles eintraf, wurden sämtliche Lampen im Haus angemacht, und Bobbys Frau Bonnie stellte sich in die Küche, um Pfannkuchen zu backen.
Bonnie übernahm das Kommando in meiner Küche, und dreimal am Tag wurde ich mit einer langen Liste von Dingen, die sie dringend brauchte, zum Supermarkt geschickt. Ich kaufte tonnenweise Eis, und die Kinder hatten bald heraus, dass ich ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit noch mehr holen würde.
Da die Veranda lang und breit war und nur selten benutzt wurde, nahmen die Ruffins sie allmählich in Beschlag. Spätnachmittags brachte Sam Miss Callie und Esau herüber. Miss Callie tat es gut, aus Lowtown herauszukommen. Ihr hübsches, kleines Haus war zum Gefängnis geworden.
Mehrmals hörte ich, wie die Kinder sich besorgt über ihre Mutter unterhielten. Die durchaus realistische Möglichkeit, dass sie ermordet wurde, war weitaus seltener Thema des Gesprächs als ihre Gesundheit. Im Laufe der Jahre war es Miss Callie gelungen, um die fünfunddreißig Kilo abzunehmen, je nachdem, wessen Version man hörte.
Inzwischen hatte sie jedoch wieder ihr altes Gewicht erreicht, und ihr Blutdruck machte den Ärzten Sorgen. Der Stress forderte seinen Tribut. Esau sagte, sie schlafe schlecht, was sie aber auf die Medikamente zurückführe.
Sie war nicht mehr so lebhaft wie früher, lächelte nicht mehr so oft und hatte erheblich weniger Energie.
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Sie gaben der »Sache mit Padgitt« die Schuld daran.
Sobald er wieder hinter Schloss und Riegel säße, würde es Miss Callie besser gehen. In Bezug auf ihren Gesundheitszustand war der größte Teil ihrer Familie optimistisch.
Am 2. Juli bereitete Bonnie ein kleines Mittagessen zu, das aus verschiedenen Salaten und Pizzen bestand.
Sämtliche verfügbaren Ruffins waren gekommen. Wir aßen auf der Seitenveranda unter den träge quietschenden Ventilatoren aus Weidengeflecht, die so gut wie nutzlos waren. Doch es wehte eine leichte Brise, und bei etwa fünfunddreißig Grad konnten wir eine lange, ausgiebige Mahlzeit genießen.
Ich suchte noch nach dem richtigen Moment, um Miss Callie zu sagen, dass ich die Zeitung verkauft hatte. Ich wusste, sie würde schockiert und sehr enttäuscht sein.
Aber ich konnte mir nichts vorstellen, was dagegen sprach, unsere Mittagessen donnerstags fortzusetzen.
Vielleicht würde es ihr ja noch mehr Spaß machen, die Tippfehler und Versehen anderer zu zählen.
In neun Jahren war unser Mittagessen donnerstags nur siebenmal ausgefallen, immer wegen Krankheit oder einem Besuch beim Zahnarzt.
Unser mattes Geplauder nach dem Essen fand ein jähes Ende. In einiger Entfernung, irgendwo in der Stadt, hörten wir Sirenen.
Die Schachtel war dreißig Zentimeter lang, dreißig Zentimeter breit und zwölf Zentimeter hoch und aus weißem Karton, der mit roten und blauen Sternen und Streifen bedruckt war. Es war eine Geschenkpackung der Bolan-Pekannussfarm in Hazelhurst, Mississippi, per Post an Mrs Maxine Root geschickt, von ihrer Schwester in Concord, Kalifornien. Amerikanische Pekannüsse als 463
Geschenk zum Unabhängigkeitstag. Der Briefträger hatte das Päckchen um die Mittagszeit herum zugestellt und in den Briefkasten von Maxine Root gesteckt. Dann war es ins Haus gebracht worden, an dem Wachposten vorbei, der unter einem Baum im Vorgarten saß. In der Küche hatte Maxine das Päckchen zum ersten Mal gesehen.
Es war jetzt fast einen Monat her, seit Sheriff McNatt sie gefragt hatte, wie sie bei dem Prozess damals
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