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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Sie so was, Junge?«, fragte der Mann, während er seine rechte Hand aus der Hosentasche zog. Mein Herz schien für einen Moment auszusetzen und ich schnappte nach Luft. Der Besucher ließ eine glänzende Pistole schwungvoll über meinen Schreibtisch schlittern, als handelte es sich um einen Schlüsselbund. Nachdem sich die Waffe noch ein paarmal um sich selbst gedreht hatte, blieb sie direkt vor mir liegen. Glücklicherweise zeigte der Lauf auf die Fenster.
    Der Mann lehnte sich über den Schreibtisch und streckte mir eine riesige Pranke entgegen. »Harry Rex Vonner, ist mir ein Vergnügen.« Ich war zu verdutzt, um etwas zu sagen, begrüßte ihn aber schließlich mit einem beschämend schwächlichen Händedruck. Mein Blick war noch immer auf die Waffe gerichtet.
    »Smith & Wesson, ein Achtunddreißiger, sechs Schuss.
    Eine feine Knarre. Tragen Sie eine?«
    Ich schüttelte den Kopf. Schon der Name der Waffe ließ es mir kalt den Rücken hinunterlaufen.
    Harry Rex Vonner hatte sich eine eklige schwarze Zigarre in den linken Mundwinkel geklemmt, die sich 104

    schon den größten Teil des Tages dort zu befinden schien und sich langsam auflöste wie ein Priem Kautabak. Rauch war nicht zu sehen, denn sie war nicht angezündet. Er ließ seinen massigen Körper in einen Ledersessel fallen, als wollte er ein paar Stunden bleiben.
    »Sie sind ein verrückter Kerl, ist Ihnen das eigentlich klar?«, fragte er, wiederum eher knurrend als sprechend.
    Jetzt fiel mir ein, wer hinter dem Namen steckte – ein in Clanton ansässiger Jurist, den Baggy einmal als den fiesesten Scheidungsanwalt im ganzen County bezeichnet hatte. Er hatte ein breites, fleischiges Gesicht und kurze, blonde Haare, die wie vom Wind zerzaustes Stroh in alle Richtungen von seinem Schädel abstanden. Sein betagter leichter Anzug war zerknittert und fleckig und gab der Welt zu verstehen, dass Harry Rex sich um die Meinung anderer nicht scherte.
    »Was soll ich damit?« Ich zeigte auf die Waffe.
    »Zuerst sollten Sie sie laden. Ich gebe Ihnen ein paar Patronen, dann stecken Sie den Achtunddreißiger in die Tasche und nehmen ihn überallhin mit. Wenn einer dieser Padgitt-Gangster hinter Ihnen aus den Büschen auftaucht, jagen Sie ihm eine Kugel zwischen die Augen.« Damit ich es auch richtig verstand, fuhr er mit dem Zeigefinger durch die Luft, als wollte er die Flugbahn einer Kugel beschreiben, und bohrte ihn sich dann zwischen die Augen.
    »Sie ist nicht geladen?«
    »Um Gottes willen, nein. Wissen Sie denn gar nichts über Schusswaffen?«
    »Leider nein.«
    »Bei dem Tempo, das Sie anschlagen, sollten Sie sich besser kundig machen.«
    »Ist es so schlimm?«
    105

    »Vor etwa zehn Jahren vertrat ich einen Mann, dessen junge Frau sich gern ins Bordell stahl, um ein paar zusätzliche Dollars zu verdienen. Der Knabe arbeitete auf See, war fast immer weg und hatte keine Ahnung, was da lief. Schließlich fand er es heraus. Der Puff gehörte den Padgitts, und einer von ihnen hatte sich in die junge Frau verguckt.« Die Zigarre hüpfte auf und ab, während er sprach, blieb aber in seinem Mundwinkel kleben.
    »Meinem Mandanten brach es das Herz, und er wollte Blut sehen. Sein Wunsch sollte in Erfüllung gehen.
    Irgendwann haben sie ihn sich nachts geschnappt und halb tot geschlagen.«
    »Sie?«
    »Die Padgitts, da bin ich mir sicher. Oder einer ihrer Spezialisten.«
    »Ihrer Spezialisten?«
    »Ja, sie beschäftigen alle möglichen Gangster. Schläger, Bombenleger, Autodiebe, Mörder.«
    Harry Rex wartete, um das Wort »Mörder« richtig wirken zu lassen, und sah mich zusammenzucken. Er vermittelte den Eindruck eines Mannes, der endlos Geschichten erzählen konnte, ohne sich allzu sehr durch Wahrheitsliebe belastet zu fühlen. Mittlerweile hatte er ein fieses Grinsen aufgesetzt und ein Leuchten in den Augen, und ich ahnte, dass eine Ausschmückung der Geschichte folgen würde.
    »Natürlich wurden sie nicht geschnappt«, sagte ich.
    »Padgitts werden nie geschnappt.«
    »Was ist aus Ihrem Mandanten geworden?«
    »War ein paar Monate im Krankenhaus. Er hatte einen schweren Dachschaden, war mit Unterbrechungen immer wieder in Behandlung, eine traurige Geschichte. Seine 106

    Familie ist daran zerbrochen. Dann hat es ihn an die Golfküste verschlagen, wo sie ihn in den Senat des Bundesstaates gewählt haben.«
    Ich nickte lächelnd und hoffte, dass das eine Lüge war, aber ich ließ die Sache auf sich beruhen. Ohne die Zigarre
    mit den Händen zu berühren, schaffte

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