Die Liste
FOTOGRAF DER
TIMES ZU HAUSE ÜBERFALLEN. Wiley hatte darauf bestanden, den Artikel selbst zu redigieren; trotzdem hatte ich auch hier kein Detail ausgelassen.
In beiden Fällen ersparte ich mir die Anstrengung, subtile Differenzierungen vorzunehmen. Stattdessen verknüpfte ich die Delikte miteinander und suggerierte, dass die Behörden, insbesondere Sheriff Coley, wenig unternahmen, um weitere Einschüchterungsversuche zu verhindern. Kein einziges Mal nannte ich die Padgitts beim Namen. Es war nicht nötig. Jeder in Ford County wusste, dass sie mich und meine Zeitung einzuschüchtern 101
versuchten.
Spot war zu faul für Leitartikel gewesen. Während meiner Zeit als Angestellter der Times hatte er nur ein einziges Mal einen geschrieben. Ein Kongreßabgeordneter aus Oregon hatte eine Gesetzesvorlage zum Fällen von Redwoodbäumen eingebracht – es war jedoch nicht ganz klar, ob mehr oder weniger Bäume abgeholzt werden sollten. Das hatte Spot geärgert. Zwei Wochen lang hatte er sich mit seinem Leitartikel abgemüht und schließlich eine Tirade von zweitausend Wörtern gebracht. Für jeden Highschool-Absolventen war klar, dass er den Text mit dem Stift in der einen Hand und einem Wörterbuch in der anderen geschrieben hatte. Schon im ersten Absatz fanden sich mehr Wörter mit sechs Silben, als sie irgendein Leser je zuvor auf einem Haufen gesehen hatte. Der Text war praktisch unlesbar. Schockiert musste Spot zur Kenntnis nehmen, dass sein Artikel keinerlei Reaktionen provozierte. Er hatte eine Lawine von zustimmenden Leserbriefen erwartet. Offenbar waren nur wenige Leser nicht von dem Wörterbuchwissen erschlagen worden.
Dann, nach drei Wochen, hatte schließlich jemand eine handschriftliche Notiz durch den Schlitz unter der Eingangstür geschoben:
Sehr geehrte Redaktion, es tut mir Leid, dass Sie sich so aufregen müssen wegen dieser Redwoodbäume, die es hier in Mississippi nicht gibt. Würden Sie uns bitte informieren, wenn der Kongress in Bezug auf Industrieholz was ausbrütet?
Zwar fehlte eine Unterschrift, aber Spot publizierte den Brief trotzdem. Er war erleichtert, dass überhaupt jemand seinen Leitartikel zur Kenntnis genommen hatte. Später 102
erzählte mir Baggy, der Zettel sei von einem seiner Trinkkumpane aus dem Gericht geschrieben worden.
Mein Leitartikel begann folgendermaßen: »Eine freie und unbehindert agierende Presse ist lebenswichtig für eine gesunde Demokratie.« Ohne in Geschwätzigkeit oder ins Moralisieren abzugleiten, sang ich über vier Absätze hinweg das Hohelied des zupackenden und wissbegierigen Journalismus, der nicht nur für das ganze Land, sondern auch für jede Kleinstadt wichtig sei. Ich schwor, dass die Times sich durch Einschüchterungsversuche nicht von der Berichterstattung über Verbrechen abhalten lasse, gleichgültig, ob es sich dabei um Morde, Vergewaltigungen oder Korruptionsvergehen handele.
Es war ein kühner Wurf, mutig und absolut brillant. Die Leute aus der Stadt waren auf meiner Seite. Schließlich stand hier die Times gegen die Padgitts und den von ihnen gekauften Sheriff. Wir boten schlechten Menschen Paroli, und obwohl diese gefährlich waren, ließ ich mich nicht einschüchtern. Immer wieder überredete ich mich zur Tapferkeit, und tatsächlich hatte ich auch gar keine Alternative. Was hätte meine Zeitung denn tun sollen –
den Mord an Rhoda Kassellaw einfach ignorieren? Danny Padgitt nachsichtig behandeln?
Bei der Belegschaft stieß mein Leitartikel auf begeisterte Zustimmung. Margaret sagte, sie sei stolz, für die Times zu arbeiten. Wiley, dessen Wunden noch nicht verheilt waren, war mittlerweile bewaffnet und brannte auf eine Auseinandersetzung. »Machen Sie ihnen die Hölle heiß, Grünschnabel«, sagte er.
Nur Baggy war skeptisch. »Sie werden sich ein blaues Auge holen.«
Miss Callie charakterisierte mich einmal mehr als mutig.
Das Mittagessen am nächsten Donnerstag, an dem auch 103
Esau teilnahm, dauerte nur zwei Stunden. Ich begann, mir Notizen über die Familie Ruffin zu machen. Aber noch wichtiger war, dass Miss Callie in der letzten Times-Ausgabenur drei Fehler gefunden hatte.
Am frühen Freitagnachmittag saß ich allein in meinem Büro, als ich unten jemanden geräuschvoll eintreten und dann die Treppe heraufkommen hörte. Der Besucher trat ohne jeden Gruß in mein Büro und vergrub beide Hände in den Hosentaschen. Er kam mir vage bekannt vor; wir mussten uns einmal irgendwo am Clanton Square begegnet sein.
»Haben
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