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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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anderen ließen ein Einmachglas herumgehen. Groß genug war es ja. Um Krankheitserreger machte sich niemand Sorgen. Im Umkreis von einem Meter um dieses Glas mit dem scheußlichen Gebräu würden keinerlei Bakterien überleben.
    Ich entschuldigte mich unter dem Vorwand, die Toilette zu suchen. In diesem Moment tauchte aus der Hintertür der Hütte Harry Rex mit zwei Pistolen und einem Karton Munition auf. »Kommen Sie«, sagte er. »Wir sollten besser ein paar Schüsse abgeben, bevor es dunkel wird.«
    Neben dem Spieß mit der Ziege stieß ein Cowboy namens Rafe zu uns. »Rafe ist mein Laufbursche«, erklärte Harry Rex, während wir auf den Wald zugingen.
    »Ihr Laufbursche?«
    »Er besorgt mir Fälle.«
    112

    »Wenn’s irgendwo Streit gibt zwischen Eheleuten, bin ich da. Meistens bin ich sogar schon vorher da«, erläuterte Rafe.
    Ich hatte noch viel zu lernen, machte aber Fortschritte.
    Immerhin war es keine Kleinigkeit, am selben Tag mit schwarz gebranntem Pfirsichschnaps und Schweinekutteln Bekanntschaft gemacht zu haben. Wir gingen etwa hundert Meter über einen alten Feldweg und dann durch den Wald, bis wir eine Lichtung erreicht hatten. Zwischen zwei prächtigen Eichen hatte Harry Rex eine sechs Meter hohe, halbkreisförmige Wand aus Heuballen errichtet. In der Mitte befand sich ein weißes Bettlaken, auf das der Umriss eines Mannes aufgemalt war. Das war der Angreifer. Der Feind. Die Zielscheibe.
    Ich war nicht weiter überrascht, als auch Rafe eine Pistole zog. Harry Rex hielt die Waffe in der Hand, die er mir als Geschenk zugedacht hatte. »Also, so wird’s gemacht.« Die Unterrichtsstunde begann. »Das ist ein Double-Action-Revolver mit sechs Patronen. Wenn Sie hier drücken, springt die Trommel raus.«
    Rafe nahm die Waffe und lud sie zügig, was er offensichtlich schon häufig getan hatte. »Lassen Sie die Trommel so wieder einrasten, dann können Sie loslegen.«
    Wir standen etwa fünfzehn Meter von der Zielscheibe entfernt. Von der Hütte her hörte ich immer noch die Musik. Was würden die anderen Gäste denken, wenn sie plötzlich Schüsse hörten? Gar nichts. Das war hier an der Tagesordnung.
    Rafe nahm meinen Revolver wieder und baute sich gegenüber von der Zielscheibe auf. »Erst spreizen Sie die Beine etwa schulterbreit und beugen die Knie leicht. Sie halten die Waffe mit beiden Händen und drücken mit dem rechten Zeigefinger ab.« So wie er es demonstrierte, 113

    wirkte natürlich alles ganz leicht. Als er abdrückte, stand ich keine zwei Schritte von ihm entfernt, und das scharfe Krachen zerrte an meinen Nerven. Warum musste das so laut sein?
    Bisher hatte ich Schüsse nur im Fernsehen gehört.
    Die zweite Kugel traf den aufgemalten Mann in die Brust, die nächsten vier schlugen etwas tiefer ein. Rafe wandte sich mir zu, öffnete die Trommel und ließ die leeren Patronenhülsen herausfallen. »Jetzt sind Sie an der Reihe.«
    Mit zitternden Händen griff ich nach dem Revolver, der ganz warm war. In der Luft hing der beißende Geruch des Schießpulvers. Ich schaffte es, die Waffe nachzuladen und die Trommel wieder zu schließen, ohne jemanden zu verletzen. Dann hob ich die Waffe mit beiden Händen, nahm eine Position ein, die ich aus schlechten Filmen kannte, schloss die Augen und drückte ab. Es war, als wäre eine kleine Bombe explodiert.
    »Verdammt, die Augen müssen Sie schon offen lassen«, knurrte Harry Rex.
    »Was habe ich getroffen?«
    »Den Hügel hinter den Eichen.«
    »Probieren Sie’s noch mal«, sagte Rafe.
    Ich versuchte, über das Visier zu zielen, doch der Lauf der Waffe zitterte zu sehr, als dass es geholfen hätte. Dann drückte ich erneut ab, diesmal mit aufgerissenen Augen. In der Nähe des Ziels fiel mir keine Stelle auf, wo die Kugel eingeschlagen sein könnte.
    »Er hat das Bettlaken verfehlt«, hörte ich Rafe hinter mir murmeln.
    »Weiter«, sagte Harry Rex.
    Ich feuerte erneut, konnte aber wieder nirgends ein 114

    Einschussloch entdecken. Rafe ergriff behutsam meinen Arm und führte mich drei Meter nach vorn. »Sie machen das gut«, sagte er. »Wir haben genug Munition.«
    Beim vierten Schuss traf ich nicht einmal die Heuballen.
    »Vermutlich müssen sich die Padgitts keine Sorgen machen«, bemerkte Harry Rex.
    »Es liegt am Alkohol«, sagte ich.
    »Man braucht nur etwas Übung«, versicherte Rafe, der mich noch etwas weiter nach vorn schob. Meine Hände waren verschwitzt, mein Herzschlag spielte verrückt, und meine Ohren klingelten.
    Mit Schuss Nummer fünf

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