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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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von solchen Skrupeln geplagt. Der Geschäftsleiter des Gerichts hatte uns eine Liste mit der aktuellen Sitzordnung der Geschworenen gegeben. Miss Callie war Nummer zweiundzwanzig, die erste Schwarze und die dritte Frau.
    Man war allgemein der Ansicht, dass die Verteidigung sie akzeptieren würde, weil sie schwarz war und Schwarze, so die vorherrschende Meinung, grundsätzlich mit dem Angeklagten sympathisierten. Mir war nicht klar, wieso ein Schwarzer Sympathien für einen weißen Schläger wie Danny Padgitt hegen sollte, aber die Anwälte waren fest davon überzeugt, dass Lucien Wilhanks sie mit Handkuss nehmen würde.
    Aus demselben Grund würde die Anklage ihr nicht anfechtbares Recht auf die unbegründete Ablehnung von Geschworenen in Anspruch nehmen und sie von der Liste streichen lassen. Das wiederum hielt Chick Elliot, der Älteste und Betrunkenste der Gruppe, für unwahrscheinlich. »Wenn ich der Staatsanwalt wäre, würde ich sie nehmen«, verkündete er und goss sich einen kräftigen Schluck Whiskey hinter die Binde.
    »Warum?«, wollte Baggy wissen.
    »Weil wir alle sie dank der Times so gut kennen. Den Artikeln zufolge ist sie eine gottesfürchtige, bibelfeste Patriotin mit gesundem Menschenverstand, die ihre Kinder mit strenger Hand und einem kräftigen Tritt in den Hintern erzogen und auf dem Pfad der Tugend geleitet hat.«
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    »Er hat Recht«, sagte Tackett, der jüngste der drei.
    Allerdings neigte Tackett dazu, sich grundsätzlich der vorherrschenden Meinung anzuschließen. »Sie wäre die ideale Geschworene für die Anklage. Außerdem ist sie eine Frau, und es geht um Vergewaltigung. Ich würde alle Frauen nehmen, die ich kriegen kann.«
    Sie diskutierten eine Stunde lang herum. Es war meine erste Zusammenkunft mit ihnen, und plötzlich wurde mir klar, wieso Baggy so viele unterschiedliche Meinungen zu den verschiedensten Themen kannte. Obwohl ich versuchte, es nicht zu zeigen, befürchtete ich, dass meine ausführliche, wohlwollende Reportage über Miss Callie ihr irgendwie zum Verderben werden könnte.

    Nach der Mittagspause begann die ernsteste Phase der Befragung – es ging um die Todesstrafe. Richter Loopus erklärte, was ein Kapitalverbrechen war und welche Verfahrensschritte zu befolgen waren. Dann erteilte er erneut Ernie Gaddis das Wort.
    Geschworener Nummer elf war Mitglied einer obskuren Kirche und stellte klar, dass er niemals einen Menschen in die Gaskammer schicken würde. Geschworener Nummer vierunddreißig war ein Veteran zweier Kriege und fest davon überzeugt, dass die Todesstrafe nicht oft genug angewandt wurde. Das gefiel Gaddis, der sich einzelne Geschworene herauspickte und sie höflich dazu befragte, was sie davon hielten, über andere zu urteilen und die Todesstrafe zu verhängen. Schließlich hatte er sich bis zu Miss Callie vorgearbeitet. »Mrs Ruffin, ich habe von Ihnen gelesen. Sie scheinen ein sehr religiöser Mensch zu sein. Ist das richtig?«
    »Ja, ich glaube an den Herrn, Sir«, antwortete sie so klar wie immer.
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    »Würden Sie zögern, über einen anderen Menschen zu urteilen?«
    »Ja, Sir.«
    »Möchten Sie von Ihrer Pflicht entbunden werden?«
    »Nein, Sir. Es ist meine Bürgerpflicht, hier zu sein, genau wie bei den anderen.«
    »Und wenn Sie Geschworene wären und die Geschworenen Mr Padgitt der Verbrechen für schuldig befinden würden, könnten Sie ihn dann zum Tode verurteilen?«
    »Ich würde es mir bestimmt nicht wünschen.«
    »Ich habe Sie gefragt, ob Sie es könnten.«
    »Ich kann mich an das Gesetz halten, genau wie die anderen hier. Wenn das Gesetz sagt, wir sollen erwägen, die Todesstrafe zu verhängen, dann kann ich mich an das Gesetz halten.«

    Vier Stunden später wurde Calia H. Ruffin als letzte Geschworene ausgewählt – die erste schwarze Geschworene in einem Prozess in Ford County. Die Säufer von oben hatten Recht gehabt. Die Verteidigung wollte sie, weil sie schwarz war, die Staatsanwaltschaft, weil man so viel über sie wusste. Außerdem hatte Ernie Gaddis sich sein Ablehnungsrecht für weniger sympathische Persönlichkeiten aufheben müssen.
    Als ich spät an jenem Abend allein in meinem Büro saß und an einem Bericht über den ersten Verhandlungstag und die Auswahl der Geschworenen schrieb, hörte ich unten ein vertrautes Geräusch. Wenn Harry Rex die Vordertür aufstieß und über den Holzboden trampelte, wusste jeder bei der Times, wer da kam, ganz egal, wie viel Uhr es war.
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    »Willie, Junge!«, brüllte er von

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