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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sie, während sie aus den Schuhen schlüpfte und sich aufs Sofa setzte. »Ich bin nicht in Stimmung dafür.«
    »Ich auch nicht«, log ich.
    Ihr Ton klang, als könnte ihre Stimmung jeden Augenblick umschlagen, und falls das geschah, würden wir vielleicht später zueinander kommen. Ich war gern bereit zu warten.
    Ich holte kaltes Bier aus der Küche, und wir richteten uns häuslich ein, als wollten wir die ganze Nacht hindurch reden. »Erzählen Sie mir von Ihrer Familie«, sagte sie.
    Das war nicht gerade mein Lieblingsthema, aber für 187

    diese Frau würde ich selbst darüber reden. »Ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter starb, als ich dreizehn war.
    Mein Vater lebt in Memphis in einem alten Haus, das seiner Familie gehört und das er nie verlässt, weil bei ihm wie bei dem Haus ein paar Schrauben locker sind. Er hat in einer Mansarde ein Büro eingerichtet, in dem er rund um die Uhr sitzt und mit Wertpapieren handelt. Ich weiß nicht, wie gut er dabei ist, aber ich hab das Gefühl, dass er mehr verliert als gewinnt. Einmal im Monat telefonieren wir miteinander.«
    »Sind Sie reich?«
    »Nein, aber meine Großmutter. Die Mutter meiner Mutter, BeeBee. Sie hat mir das Geld geliehen, mit dem ich die Zeitung gekauft habe.«
    Sie dachte darüber nach, während sie an ihrem Bier nippte. »Wir waren drei Mädchen, jetzt sind wir nur noch zwei. Als Teenager waren wir ziemlich wild. Mein Vater ging eines Abends zum Milchholen und kam nie zurück.
    Meine Mutter hat es seitdem noch zweimal versucht, aber es klappte nicht. Ich bin geschieden. Meine ältere Schwester ist geschieden. Rhoda ist tot.« Sie streckte die Hand mit der Flasche aus und stieß mit mir an. »Auf unsere verkorksten Familien.«
    Wir tranken darauf.
    Geschieden, kinderlos, wild und bildhübsch. Ich konnte mir vorstellen, mehr Zeit mit Ginger zu verbringen.
    Sie wollte alles über Ford County und die Leute hier wissen – Lucien Wilbanks, die Padgitts, Sheriff Coley und so weiter. Ich redete und redete, während ich darauf wartete, dass ihre Stimmung umschlug.
    Aber das geschah nicht. Irgendwann nach zwei Uhr morgens streckte sie sich auf dem Sofa aus, und ich ging allein ins Bett.
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    ls Ginger und ich ein paar Stunden später die Wohnung verließen, trieben si
    A
    ch drei der Hocutts –
    Max, Wilma und Gilma – an der Garage unter meiner Wohnung herum. Wahrscheinlich wollten sie Ginger sehen. Ich stellte sie mit ein paar munteren Worten vor.
    Die Blicke der Hocutts waren empört, und ich erwartete beinahe, dass Max etwas Lächerliches sagte wie: »Als wir Ihnen diese Wohnung vermietet haben, war nicht die Rede von verwerflichem Sex.« Aber es fielen keine beleidigenden Worte, und wir fuhren schnell zum Büro.
    Ginger sprang in ihr Auto und verschwand.
    Die neue Ausgabe stapelte sich im Eingangsbereich bis unter die Decke. Die Schlagzeile klang ziemlich zurückhaltend: PROZESS GEGEN DANNY PADGITT
    BEGINNT – GESCHWORENE ISOLIERT. Es gab keine Fotos des Angeklagten. Davon hatten wir bereits genug gedruckt, und ich wollte mir ein großes für die nächste Woche aufheben. Mit ein wenig Glück bekamen wir den kleinen Gauner vor die Linse, wenn er nach dem Todesurteil das Gericht verließ. Baggy und ich hatten die Spalten mit dem gefüllt, was wir während der ersten beiden Tage gesehen und gehört hatten, und ich war sehr stolz auf die Berichterstattung. Unsere Artikel waren aufrichtig, tatsachengetreu, detailliert, gut geschrieben und nicht im Geringsten reißerisch. Der Prozess war so bedeutend, dass er für sich selbst sprach. Und ehrlich gesagt hatte ich meine Lektion gelernt, wenn es darum ging, Ereignisse aufzubauschen. Um acht Uhr morgens lagen überall im Gericht und auf dem Clanton Square Freiexemplare der Times aus.
    189

    Am Mittwochmorgen gab es kein einleitendes Geplänkel.
    Um Punkt neun Uhr wurden die Geschworenen hereingeführt, und Ernie Gaddis rief seinen nächsten Zeugen auf. Es war Chub Brooner, der langjährige Leiter der Ermittlungen für das Büro des Sheriffs. Baggy und Harry Rex waren sich darüber einig, dass Brooner für seine Unfähigkeit bekannt war.
    Um die Geschworenen wachzurütteln und die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, zeigte Gaddis das weiße Hemd, das Danny Padgitt in der Nacht seiner Verhaftung getragen hatte. Es war nicht gewaschen worden, und die Blutflecke hatten sich dunkelbraun verfärbt.
    Gaddis hielt es vorsichtig hoch, sodass alle es sehen konnten, während er sich mit Brooner unterhielt.

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