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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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war 184

    Dienstag, und Hardy wollte die Druckerpresse spätestens um dreiundzwanzig Uhr anlaufen lassen. In den seltenen Wochen, in denen es keine mechanischen Probleme gab, konnte er in knapp drei Stunden fünftausend Exemplare drucken.
    Er setzte die Artikel in aller Eile. Für Korrektur und Überarbeitung blieb keine Zeit, aber das war mir bei dieser Ausgabe ziemlich egal, weil Miss Callie Geschworene war und daher unsere Fehler nicht sehen würde. Als wir fast fertig waren, fing Baggy an, sich voll laufen zu lassen und hatte es plötzlich sehr eilig zu verschwinden. Ich wollte gerade aufbrechen, als Ginger McClure zur Tür hereinkam und mich begrüßte, als wären wir alte Freunde. Sie trug enge Jeans und eine rote Bluse und wollte wissen, ob ich etwas zu trinken hätte. Nicht im Büro, aber das sollte kein Hindernis sein.
    Wir fuhren in meinem Spitfire zu Quincy, wo ich ein Sixpack Schlitz-Bier erstand. Ginger wollte Rhodas Haus ein letztes Mal sehen, von der Straße aus, nicht aus allzu großer Nähe. Während wir dorthin fuhren, erkundigte ich mich vorsichtig nach den beiden Kindern. Die Antwort war nicht wirklich ermutigend. Sie lebten bei einer anderen Schwester – Ginger betonte, dass sie selbst frisch geschieden sei – und befanden sich in intensiver psychologischer Behandlung. Der Junge wirkte fast normal, obwohl er manchmal in lange Schweigephasen versank. Das Mädchen war schlimmer dran. Sie hatte ständig Alpträume von ihrer Mutter und konnte ihre Blase nicht mehr kon-trollieren. Oft lag sie zusammengerollt wie ein Embryo da, lutschte an den Fingern und stöhnte mitleiderregend. Die Ärzte versuchten es mit unterschiedlichen Medikamenten.
    Keines der Kinder wollte der Familie oder den Ärzten sagen, wie viel sie in jener Nacht gesehen hatten. »Sie haben miterlebt, wie ihre Mutter vergewaltigt und 185

    erstochen wurde«, sagte Ginger und leerte das erste Bier.
    Meines war noch halb voll.
    Das Haus der Deece’ sah aus, als hätte das Ehepaar die letzten Tage durchgeschlafen. Wir bogen in die Kieseinfahrt zum einstigen Heim der kleinen, glücklichen Familie Kassellaw. Es war leer und dunkel und wirkte verlassen.
    Im Garten stand ein Schild mit der Aufschrift Zu VERKAUFEN. Das Haus war der einzige Vermögenswert von Bedeutung in Rhodas kleinem Nachlass. Der gesamte Erlös würde an die Kinder gehen.
    Auf Gingers Bitte schaltete ich die Scheinwerfer aus und stellte den Motor ab. Wohl war mir dabei nicht, denn die Nachbarn würden aus verständlichen Gründen nervös sein.
    Außerdem war mein Triumph Spitfire das einzige Fahrzeug dieser Art in Ford County und daher von vornherein verdächtig.
    Sie legte sanft ihre Hand auf meine. »Wie ist er ins Haus gekommen?«
    »Sie haben Fußabdrücke an der Terrassentür gefunden.
    Wahrscheinlich war sie nicht abgeschlossen.« Ein langes Schweigen folgte, während wir beide den Angriff vor uns sahen, die Vergewaltigung, die durch die Dunkelheit fliehenden Kinder, die nach Mr Deece schrien, damit er ihre Mutter rettete.
    »Standen Sie sich nahe?«, fragte ich. Da hörte ich, wie sich in der Ferne ein Fahrzeug näherte.
    »Als Kinder ja, aber in letzter Zeit nicht mehr. Sie ist vor zehn Jahren von zu Hause weggegangen.«
    »Wie oft haben Sie sie hier besucht?«
    »Zweimal. Ich bin auch weggezogen, nach Kalifornien.
    Irgendwie haben wir uns aus den Augen verloren. Nach dem Tod ihres Mannes haben wir sie gedrängt, nach Springfield zurückzukommen, aber sie hat gesagt, dass es 186

    ihr hier gefällt. Ehrlich gesagt sind sie und meine Mutter nie gut miteinander ausgekommen.«
    Ein Pick-up verlangsamte direkt hinter uns das Tempo.
    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber ich wusste, wie gefährlich so etwas in solch einer dunklen Gegend werden konnte. Ginger starrte auf das Haus und schien irgendwelchen entsetzlichen Gedanken nachzuhängen. Offenbar hatte sie nichts gehört. Zum Glück hielt der Pick-up nicht an.
    »Fahren wir, bitte.« Sie drückte meine Hand. »Ich habe Angst.«
    Als wir wegfuhren, sah ich, wie sich Mr Deece mit einer Schrotflinte in der Hand in den Schatten seiner Garage duckte. Er würde der letzte Zeuge sein, den die Anklage aufrief.
    Ginger war in einem Motel am Ort abgestiegen, wollte aber nicht dorthin. Da es nach Mitternacht war, standen uns nicht allzu viele Möglichkeiten offen. Also fuhren wir zu mir, wo ich sie die Treppe hinauf über die Katzen in meine Wohnung führte.
    »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen«, sagte

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