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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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erwiderte die Geste, streifte mich aber nur mit den Fingerspitzen. Seit ich ausgezogen war, suchten Frank und ich stillschweigend nach einem Begrüßungs- und Abschiedsritual. Umarmungen und Küsse, wie meine Mutter sie verteilte, waren uns beiden unangenehm, Luftküsschen, dachte ich, fände Frank bestimmt affektiert, ein knappes «Hallo» wurde unserer Zuneigung aber auch nicht gerecht. Wir probierten immer noch herum.
    Anna nahm Frank hingegen sofort wieder in die Arme, warf sie in die Luft, hielt sie waagerecht nach oben gestreckt, nannte sie sein Lieblingsflugzeug, lief mit der fliegenden Anna ins Wohnzimmer und ließ sie auf der Couch landen. Sie schnaufte.
    Flox war überraschenderweise schon vor mir da. «Bist du früher losgekommen?», fragte ich.
    «Ja. War nicht viel los heute. Und die Mädels vollständig versammelt.» Flox schrieb als einziger Mann für eine Frauenzeitschrift, über die er sich täglich lustig machte, zu Hause und auch in der Redaktion. Er war da hineingerutscht, über seine Reisereportagen, für die wir beide gereist waren, bevor … Vor Anna reisten wir gern und viel und möglichst weit. Flox recherchierte und sprach mit Menschen, ließ mich in einem Café, wo ich stundenlang schreiben würde. Am frühen Abend holte er mich wieder ab, wir setzten uns in ein Restaurant, wo er mir von seinem Tag erzählte. Ich erzählte ihm nicht, was ich geschrieben hatte, weil es noch zu neu war, weshalb Flox höchstens fragte: «Kommst du voran?», wofür ich dankbar war. Wir bestellten immer die Gerichte, deren Namen uns am wenigsten sagten, begannen Gespräche mit Kellnern, und Flox kritzelte immer ein bisschen mit. Flox hatte eine Weile gesagt, unsere Beziehung basiere auf unserer Liebe zum Essen, wir bereiteten es nicht gerne zu, aber aßen gerne. Wir testeten Restaurants, Gaststätten, Kneipen, Cafés und Bars, gefiel uns eines, so gingen wir immer wieder hin, bestellten wir die Speisekarte einmal rauf und runter, bis wir uns auf das beste Menü – Vorspeise, Hauptgericht, Dessert – einigen konnten. Dann probierten wir das nächste Restaurant. Nun reisten wir nicht mehr, Flox zog nicht mehr durch fremde Länder und Städte, sondern saß in einem Büro, in dem außer ihm nur Mädels saßen, ich schrieb nicht mehr tagelang in exotischen Cafés und auch sonst nirgendwo. Wir machten nun Urlaub auf einem Biobauernhof, einen Mittagsschlaf mit dem Auto von zu Hause entfernt, wir kochten Nudeln mit Tomatensoße und aßen auswärts höchstens mal ein Eis.
    Aus der Küche duftete es nach Großmutters Apfelkuchen, und dass der Duft das Haus erfüllte, obwohl Großmutter nicht da war, störte mich heute ausnahmsweise nicht. Dann fielen mir die Panini-Bilder ein, und ich holte die Päckchen aus der Tasche.
    Meine Mutter freute sich überschwenglich, umarmte mich und rief «Schau mal, Sofia hat mir Panini-Bilder mitgebracht» zu Frank in die Küche und riss ein Päckchen auf, aber sobald Anna diese haben wollte und auf den erstbesten der Fußballspieler zeigte und «Mann mit Ball» dazu sagte, vergaß sie die Bilder und freute sich über die Bildbeschreibung, wie nur sie (und ich und Flox und Frank) sich über solche Bildbeschreibungen freuen konnten (oder all die anderen Eltern und Großeltern auf der Welt), und legte die anderen Päckchen achtlos, als seien sie nicht weiter wichtig, für Anna unerreichbar ins Bücherregal.
    «Ja, danke», sagte Flox übertrieben begeistert und grinste mich verschwörerisch an.
    Beim Kuchenessen dachte ich: Ich frage sie jetzt, jetzt, wann denn sonst, ich wollte, musste sie fragen. Anna war fröhlich und atmete gut und mochte Omas Kuchen, was die Oma noch mehr freute als das Kind, und somit waren alle gut gelaunt und entspannt.
    «Ich war gestern in der Maistraße. Den ganzen Nachmittag. Ich habe Großmutters großen Schrank leergeräumt und die komplette Kommode. Die Küche wollten Flox und ich dann in zwei Wochen oder so machen», begann ich. Bei «in zwei Wochen oder so» blickten alle unwillkürlich zu Anna, aber keiner sagte was. Wie immer hielt meine Mutter die Stille nicht aus, Stille hielt sie für etwas, das gefüllt werden musste.
    «Schön. Sehr schön. Hast du die Sachen zur Altkleidersammlung gebracht? Hast du geschaut, ob da nichts mehr dabei ist, was ihr noch passen könnte?»
    «Ja. Ich habe zwei Schals aussortiert und warme Wollsocken und eine Bluse, die ihr noch passen könnte. Der Rest ist eindeutig zu groß. Die Sachen habe ich im Auto. Ich nehme sie

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