Die Listensammlerin
mit, wenn ich wieder zu ihr fahre.»
Ich war nicht gerade begeistert gewesen, als mir die Aufgabe zugefallen war. Zugefallen. Sie wurde mir vielmehr aufgedrückt, auferlegt, eine Ablehnung stand zu keinem Zeitpunkt zur Disposition, aber das formulierte man in unserer Familie nicht so. «Kannst du es nicht vielleicht auch als Ehre sehen? Als eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen, langsam, um dich in Ruhe an deine Großmutter zu erinnern, wenn du allein in ihrer Wohnung bist?», hatte Flox gefragt, als ich ihm abends wutschnaubend davon erzählt hatte. Meine Mutter taufte es «die Aufgabe», als wäre das ein passender Name, zu viel Gefühl konnten wir jetzt nicht gebrauchen, das stellte sie bereits mit ihrem Tonfall klar. «Ich verabschiede mich schon seit einer ganzen Weile», hatte ich Flox geantwortet und mir das «Was weißt du schon davon?» verkniffen, weil ihn die Wut nicht treffen sollte, die eigentlich meiner Mutter galt. Ein bisschen vielleicht sogar Großmutter, deren Wohnung ich nun ausräumen und putzen musste, statt dass sie mich dort mit einem ihrer Kuchen empfing. Ich wollte mich an ihren Küchentisch mit der obligatorischen gepunkteten oder geblümten Plastiktischdecke setzen und Kuchen probieren und schlechten löslichen Kaffee dazu trinken oder schwarzen Tee, den sie mir in einer ihrer Werbetassen, alle Parteien, «Die Zeit», «Der Spiegel», die Universität, die Apotheke um die Ecke, servierte, während sie ihren Tee aus einer extragroßen Tasse trank.
Als meine Mutter mich anrief, um mir die Aufgabe aufs Auge zu drücken, war ich gerade beim Wickeln, zum zweiten Mal hintereinander übrigens, geschnauft hatte Anna heute auch mehr als üblich, und dementsprechend war meine Laune. «Ich habe eine Aufgabe für dich», hatte meine Mutter verkündet und die Aufgabe vorgetragen, wie sie wohl früher Schülern im Hort das Aufräumen angewiesen hatte: «Die Wohnung deiner Großmutter», sagte sie, als spräche sie von einer ihr völlig fremden Person statt von ihrer eigenen Mutter, «die Wohnung deiner Großmutter muss aufgelöst werden. Sie wird dorthin nicht mehr zurückkehren. Es geht also darum, auszumisten, Kleider zum Container zu bringen, die Möbel zu verkaufen oder zum Sperrmüll zu bringen, durchzuputzen. Der Telefonanschluss muss abgemeldet werden. Die Bücher kannst du zu uns bringen. Diese Aufgabe fällt dir zu», schloss sie. Sie redete, als wäre sie die gleichgültige Botin einer Nachricht, die sie persönlich nicht weiter betrifft. Als berühre sie auch die dieser Nachricht vorangegangene Einsicht nicht, die Einsicht, dass ihre Mutter nie wieder in ihre Wohnung zurückkehren würde, sie nichts mehr brauchte, weder Kleider noch Möbel, noch Bücher, noch nicht einmal ein Telefon, weil sie schon lange nicht mehr telefonierte, vermutlich wusste Anna bereits besser mit einem Telefon umzugehen als sie. Meine Mutter wollte mit dieser Einsicht, nun, da sie sie angenommen hatte, wahrscheinlich in einem langwierigen, tränenreichen, vor mir geheim gehaltenen Prozess, nun nichts mehr zu tun haben, und deshalb übertrug sie mir «diese Aufgabe». Über das Wort hatte sie sich sicherlich lange Gedanken gemacht und sich bewusst dafür entschieden. «Diese Aufgabe fällt dir zu», hatte sie sachlich gesagt und noch nicht einmal nach Anna gefragt, obwohl sie sie bestimmt durchs Telefon hörte. Nun ja.
«Könntest du das nicht machen?», erwiderte ich sofort, sie schwieg.
«Kannst du das nicht machen?», fragte ich noch einmal und versuchte diesmal nicht, meinen Ärger zu verbergen. Ich wusste um den Streit, der gleich ausbrechen würde, er war mir egal. Manchmal schien sich meine Mutter für Streit anzubieten. Dafür, meine schlechte Laune, die häufig wenig oder nichts mit ihr zu tun hatte, an ihr auszulassen. Flox schimpfte regelmäßig: «Du bist unfair ihr gegenüber», und weil ich wusste, dass er recht hatte, hielt ich ihm entgegen, es ginge ihn nichts an, ich mische mich in seine Familienangelegenheiten auch nicht ein. Ich mochte diesen meinen Wesenszug nicht. Fast verachtete ich mich, schwor mir regelmäßig, damit aufzuhören, ließ, um mich zu bessern, nun meine Laune an Flox aus. Woher all diese schlechte Laune kam, die rausgelassen werden musste, verstand ich nicht.
«Kannst du das nicht machen?», wiederholte ich also in leicht provozierendem Ton, und sie antwortete: «Doch. Ich könnte auch. Aber du weißt doch, dass ich jeden Tag zu Großmutter gehe, ich kümmere mich um so vieles,
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