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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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«Lissen», bei der Schnelligkeit, mit der sie auf den Tisch geklettert und gleich geschnauft hatte. Das lenkte mich nun ab und entspannte mich, ich beobachtete meine Mutter, wie sie die Schatulle öffnete, behutsam die Papiere herausnahm, blätterte, überflog, nicht las, Frank, wie er sich zu ihr neigte, mitzulesen versuchte, Flox, der Anna vom Tisch hob, sie fragte, ob sie ein Flugzeug sein wolle, um sie von der Schatulle abzulenken, Anna, wie sie kicherte, «noch mal Lugzug», plötzlich war die Aufregung weg. Ich hatte zwei Tage lang über die Listen sinniert, sie angestarrt, studiert, übersetzt, nach Zusammenhängen recherchiert, gedreht und gewendet, interpretiert, analysiert, sie sogar mit der Hand abgeschrieben, das Papier untersucht, war nachts einmal aufgestanden, um sie mir noch mal anzusehen. Ich hatte mir das Gespräch mit meiner Mutter bis ins kleinste Detail ausgemalt, eventuelle Erwiderungen zurechtgelegt, Flox mit Fragen geplagt, auf die er keine Antwort wissen konnte. Jetzt war ich plötzlich nur noch müde.
    «Interessant», schloss meine Mutter ihre Betrachtungen und die Schatulle, in die sie die wieder sorgfältig zusammengefalteten Listen zurücklegte. «Woher Großmutter sie hat. Ich weiß es nicht. Fragen können wir sie nicht mehr. Wir hätten sie vieles fragen sollen, früher. Am Grab sind Blumen zu spät.» Sie blickte zu Frank, der nichts sagte, was denn auch?
    «Weißt du denn, ob es ihre Schrift ist?», fragte ich.
    «Schwer zu sagen. Großmutter hat nicht viel geschrieben in ihrem Leben, sie hatte keine regelmäßige Handschrift. Vier Klassen, mehr gab es in ihrem Dorf nicht», erklärte sie Flox, der nickte und mir über die Hand streichelte, was hatte ich denn erwartet? Meine Mutter ging mit Anna ins Wohnzimmer, ich hörte sie mit dem Bär reden, und ein paar Minuten später, Frank studierte die Listen, Flox und ich schauten ihm schweigend zu, rief sie, sie würden in den Garten gehen, Ball spielen; Annas hallende Rennschritte, «Baaaall!», was hatte ich denn erwartet? Ich packte die Schatulle wieder ein, Frank räumte ab, Flox blätterte in der Zeitung, später sprachen die beiden über den neuen Finanzminister, ich sagte nichts, nach dem Essen fuhren wir drei heim. Mutter und Frank boten an, am Samstag auf das Kind aufzupassen, damit wir ausgehen konnten, Flox nahm dankbar an.
    Zu Hause entdeckte ich im Badezimmer neben der Toilette, wo Flox alte Comics und neue Zeitschriften stapelte, eine Ausgabe von «Psychologie heute». Ich wunderte mich darüber und dachte, ich müsse ihn gleich danach fragen, blätterte sie kurz durch, und die Überschrift fiel mir sofort ins Auge: «Eltern sollten den Tod ihrer Kinder nicht erleben müssen». Es war ein Zitat.
    Ich verstaute die Schatulle im Schlafzimmer in der Kommode, in der ich meine Socken sowie Unterwäsche aufbewahrte. Es waren noch sieben Tage bis zur OP , und der Zeitschrift im Bad nach zu urteilen, war ich nicht die Einzige hier, die sich davor fürchtete. Immerhin.

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    Siebtes Kapitel
    Liste von Männern mit schönen Händen
    • Jura
    • Jan
    • Mischa D.
    • Mischa A.
    • Aljoscha vom Fußball
    • Sascha
    • Timofej
    • der blonde Kerl, der immer vor dem Theater steht und raucht
    • Nikolaj Petrowitsch
    • Jurij Alexejewitsch Gagarin
    • Onkel Wasja von der Datscha
    • Andrej von Papas Arbeit
    • Kostja
    • La
    • N
     
    Die langen, schmalen Finger fielen ihm sofort auf. Die Fingernägel waren kurz und formschön geschnitten, vielleicht sogar gefeilt. Einen Millimeter lang, schätzte er, eine schöne Länge, darunter kein Dreck, kein Fett, die Nagelhaut glatt und an den Rändern keine abstehenden Hautteilchen, wie er sie immer hatte und die seine Mutter «Schwänzchen» nannte. Er mochte die Sauberkeit, die Reinlichkeit. Er mochte schöne Hände. Der Arm hingegen, an der Innenseite des Arms, direkt unter der Armbeuge, waren Kratzer, die von der Begegnung mit einer Katze hätten stammen können, aber auch von einem spitzen Gegenstand, er dachte an Metall, an Stricknadeln oder Glasscherben, dann dachte er an Schmerz und verzog unwillkürlich das Gesicht. Die Schnittwunden waren bereits verschorft, seit längerem wahrscheinlich, der Schorf schien sich in die Haut eingefressen zu haben, als hielte er daran mit aller Kraft fest, weil er auf keinen Fall abblättern wollte. Die Hände lagen entspannt auf dem Tisch, sie kneteten nicht nervös oder gelangweilt an irgendetwas herum wie seine meistens,

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