Die Löwen
einem Traum gelebt zu haben, während rings um sie, in der wirklichen Welt, Hinterhältigkeit und Gewalttätigkeit herrschten. Bin ich denn so naiv? fragte sie sich unwillkürlich.
Ellis fuhr fort: »Ich kriegte auch einen Russen zu fassen, der eine Menge Attentate und Entführungen finanziert hatte. Dann wurde Pepe verhört, und er sang ganz wunderschön - so ziemlich über die Hälfte aller Terroristen in Europa.«
»Das war’s also, was du getan hast während all der Zeit, wo wir uns liebten«, sagte Jane wie verträumt. Sie erinnerte sich an die Partys , die Rock-Konzerte, die Demonstrationen, die politischen Debatten in Cafés , die zahllosen Flaschen vin rouge ordinäire in Dachateliers … Seit dem Bruch zwischen ihnen hatte sie sehr vage vermutet, dass er über alle Radikalen kleine Berichte schrieb, in denen er festhielt, wer Einfluss oder Geld besaß, wer ein Extremist war, wer unter den Studenten die meisten Anhänger hatte, wer über Verbindungen zur kommunistischen Partei verfügte und so weiter. Es fiel ihr nicht leicht, jetzt den Gedanken zu akzeptieren, dass er hinter wirklichen Verbrechern hergewesen war und dass er einige davon tatsächlich aufgespürt hatte unter ihren Freunden. »Ich kann’s einfach nicht glauben«, sagte sie verwirrt. »Es war ein großer Triumph, wenn du die Wahrheit wissen willst.«
»Wahrscheinlich solltest du’s mir nicht erzählen.« »Nein, das sollte ich nicht. Aber wenn ich dich früher angelogen habe, tat es mir immer leid – ums milde auszudrücken.«
Jane wusste nicht, was sie sagen sollte. In ihrer Verlegenheit nahm sie Chantal und gab ihr die linke Brust; bedeckte dann, als sie Ellis’ Blick bemerkte, die rechte Brust mit ihrem Hemd. Das Gespräch wurde auf nicht ganz angenehme Weise persönlich; dennoch drängte sie die Neugier, mehr zu erfahren. Sie begriff jetzt auch, wie er seine Handlungsweise rechtfertigte – sie ihrerseits konnte es dennoch nicht billigen -, doch wollte sie gern mehr wissen über seine eigentliche Motivation. Ich muss es jetzt herausfinden, dachte sie, denn ich werde nie wieder eine so gute Chance dazu haben.
»Was ich nicht verstehe, ist - nun ja, warum entscheidet sich ein Mann dafür, sein Leben damit zu verbringen, solche Sachen zu tun?«
Er blickte beiseite. »Ich habe Talent dafür, und es ist die Sache wert. Und es wird enorm gut bezahlt.«
»Und dich hat der Gedanke an die Altersversorgung gelockt, und das Kantinenessen ist ganz nach deinem Geschmack. Schon gut, wenn du nicht willst, brauchst du mir nichts zu erzählen.«
Er musterte sie so eindringlich, als versuche er, ihre Gedanken zu lesen. »Ich möchte es dir ja sagen«, versicherte er. »Aber bist du auch sicher, dass du’s hören möchtest?«
»Ja. Bitte.«
»Es hat mit dem Krieg zu tun«, begann er, und plötzlich wusste Jane, dass er ihr etwas erzählen würde, das er noch nie jemandem anvertraut hatte. »So ziemlich das Schrecklichste, wenn man über Vietnam flog, war die Tatsache, dass man so schwer zwischen Vietcong und Zivilisten unterscheiden konnte. Immer, wenn wir den Bo-dentruppen Luftunterstützung gaben, oder wenn wir einen Dschungelpfad verminten, oder wenn wir ein Gebiet zur feuerfreien Zone erklärten, wussten wir genau, dass wir mehr Frauen und Kinder und alte Männer als Guerillas töten würden. Wir behaupteten immer, sie hätten dem Feind Zuflucht gewährt, aber wer wusste das? Und wer scherte sich drum?
Wir töteten sie. Damals waren wir die Terroristen. Und ich spreche nicht von Einzelfällen - obwohl ich auch Gräueltaten sah. Ich spreche von unserer routinemäßigen Alltagstaktik.
Es gab keine Rechtfertigung dafür, verstehst du; das ist der entscheidende Punkt. Wir taten all diese schrecklichen Dinge für eine Sache, die sich am Ende als ein Haufen Lügen und Korruption und Selbsttäuschung entpuppte. Wir standen auf der falschen Seite.«
Sein Gesicht war leicht verzerrt, als bereite ihm eine innere Verletzung Qualen. Im unruhigen Schein der Lampe wirkte seine Haut schattig und fahl. »Es gibt keine Entschuldigung, verstehst du? Keine Vergebung.«
Behutsam ermutigte Jane ihn zum Weitersprechen. »Warum bist du dann geblieben?«
fragte sie, »Warum hast du dich, als dein Turnus dort zu Ende war, freiwillig zu einem zweiten gemeldet?«
»Weil ich das damals noch nicht alles so klar sah; weil ich für mein Land kämpfte und man nicht einfach aus dem Krieg davon spazieren kann; weil ich ein guter Offizier war und nicht wollte, dass ,
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