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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wenn ich Richtung Heimat reiste, irgend so ein Idiot meinen Posten übernahm und deshalb womöglich meine Männer draufgehen würden. Keiner dieser Gründe reicht natürlich aus, und so fragte ich mich dann irgendwann: › Was willst du nun tun? ‹ Ich wollte – nur war mir das damals noch gar nicht bewusst – , ich wollte das irgendwie abbüßen, wirklich Buße tun. In den sechziger Jahren hätten wir so etwas einen
    › Schuld-Trip ‹ genannt.«
    »Ja, aber …« Er sah so unsicher und verletzlich aus, dass es ihr schwerfiel, ihm direkte Fragen zu stellen. Aber es war notwendig, dass er sich aussprach, und sie wollte es auch hören; also fragte sie weiter: »Aber warum dies?«
    »Gegen Ende war ich beim Nachrichtendienst, und man bot mir die Chance, im Zivilleben mit der gleichen Art Arbeit fortzufahren. Man sagte mir, ich würde als Geheimagent arbeiten können, weil ich mit dem Milieu vertraut war. Sie wussten von meiner radikalen Vergangenheit, verstehst du. Mir schien, dass , wenn ich Terroristen fing, ich etwas von dem gutmachen konnte, was ich getan hatte. Also wurde ich Experte für die Terroristenbekämpfung. Klingt ziemlich einfach, wenn ich versuche, das in Worte zu kleiden - aber ich bin erfolgreich gewesen, weißt du.
    Trotzdem bin ich bei der Agency nicht gut angeschrieben, weil ich manchmal einen Auftrag zurückweise. Zum Beispiel damals, als sie den chilenischen Präsidenten um-brachten. Die haben’s nicht gern, wenn ein Agent sich weigert, einen Auftrag auszuführen; aber es ist mir gelungen, ein paar sehr gefährliche Leute aus dem Verkehr zu ziehen, und ich - ja, ich bin stolz auf mich.«
    Chantal schlief. Jane legte sie in die › Wiege ‹ und blickte dann zu Ellis. »Ich glaube, ich sollte sagen, dass … dass ich dich wohl falsch beurteilt habe.«
    Ellis sagte: »Dafür sei Gott gedankt.«
    Für einen Augenblick überkam sie ein nostalgisches Gefühl: Sie dachte an die Zeit zurück – war es wirklich erst anderthalb Jahre her? – , als sie und Ellis glücklich gewesen waren und all dies bedeutungslos schien: die CIA ebenso wie Jean-Pierre und Afghanistan. »Du kannst es aber nicht ungeschehen machen, nicht wahr«, sagte sie. »Alles, was passiert ist – deine Lügen, meine Wut.«
    »Nein.« Er saß auf dem Schemel und blickte zu ihr hoch, als sie jetzt vor ihm stand. Er betrachtete sie aufmerksam, streckte die Arme vor, zögerte, ließ seine Hände dann auf ihren Hüften ruhen in einer Gebärde, die brüderliche Zuneigung ausdrücken mochte – oder auch mehr. Chantal machte: »Mumumumummm …« Jane drehte sich um und blickte zu ihr, und Ellis löste seine Hände von Janes Hüften. Chantal war hellwach und schwenkte Ä rmchen und Beinchen in der Luft. Jane hob sie hoch, und Chantal machte sofort ihr Bäuerchen.
    Jane sah wieder zu Ellis. Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete sie lächelnd.
    Plötzlich wollte sie nicht, dass er ging. Impulsiv sagte sie: »Wie war’s, wenn du mit mir zu Abend isst . Es gibt aber nur Brot und so eine Art Quark.«
    »Gerne.«
    Sie reichte ihm das Baby. »Ich will nur Fara Bescheid sagen.«
    Er nahm Chantal, und Jane trat hinaus auf den Hof. Fara war dabei, für Chantals Bad Wasser zu erwärmen. Jane prüfte die Temperatur mit ihrem Ellenbogen und fand, dass sie gerade richtig war. »Mach Brot für zwei, bitte«, sagte sie zu Fara. Die Augen des Mädchen weiteten sich, und Jane begriff, wie schockierend es für Fara sein musste , dass ihre Herrin, allein, einen fremden Mann zum Abendessen einlud. Zum Teufel mit euren Sitten, dachte Jane. Sie nahm den Topf voll Wasser und trug ihn ins Haus.
    Ellis saß auf dem großen Kissen unter der Öllampe. Chantal auf einem Knie schaukelnd, sprach er leise einen Kindervers. Seine großen, haarigen Hände umschlossen ihren winzigen, rosafarbenen Körper. Sie blickte zu ihm hoch, gab ein zufriedenes Gurgeln von sich und strampelte mit den plumpen Füßchen. Jane war im Eingang stehen geblieben , wie gebannt von der Szene, und ganz von selbst stieg ein Gedanke in ihr auf: Ellis hätte Chantals Vater sein sollen.
    Ist das wahr? fragte sie sich, während sie die beiden beobachtete. Wünsche ich es wirklich? Ellis war mit dem Kindervers fertig und blickte mit einem etwas verlegenen Lächeln zu Jane, und sie dachte: Ja, ich wünsche es wirklich.
     

     
     
    Um Mitternacht stiegen sie den Hang hinauf. Jane ging voraus, und Ellis folgte, unter dem Arm seinen großen Daunen-Schlafsack. Sie hatten Chantal gebadet,

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