Die Löwen
doch sie werden keine Guerillas finden, ausgenommen diese wenigen hier.«
In Janes Klinik befanden sich sieben Verwundete. Keiner von ihnen würde sterben. Zwölf weitere mit leichteren Blessuren waren von Jane behandelt worden und hatten dann ihrer Wege gehen können. Nur zwei Männer waren im Kampf gefallen, doch ein unglückseliges Geschick hatte es gefügt, dass einer der beiden Jussuf war. Wieder würde Zahara trauern – und wieder trug Jean-Pierre die Schuld daran.
Jane fühlte sich deprimiert, daran konnte auch Ellis’ Euphorie nichts ändern. Ich darf nicht so in mich hineingrübeln, dachte sie. Jean-Pierre ist fort, und er wird nicht zurückkommen, und es hat keinen Sinn, ihm nachzuweinen. Ich sollte positiv denken. Ich sollte mich mehr für das Leben anderer Menschen interessieren.
»Was ist mit eurem Treffen?« fragte sie Ellis. »Wenn alle Guerillas davon sind …«
»Sie sind sämtlich einverstanden«, sagte Ellis. »Nach unserer erfolgreichen Aktion waren sie so voller Triumphgefühl, dass sie praktisch allem zugestimmt hätten. In gewisser Hinsicht ist unser Sieg ein Beweis für das, was manche von ihnen bezweifelt haben: Dass Masud ein brillanter Führer ist und dass sie, wenn sie sich unter ihm vereinigen, weitere große Siege erringen können. Und natürlich habe auch ich davon profitiert.«
»Du bist also erfolgreich gewesen.«
»Ja. Ich habe sogar einen von allen Rebellenführern unterzeichneten und vom Mullah bezeugten Vertrag.«
»Du muss t stolz sein.« Unwillkürlich langte sie nach seinem Arm und drückte ihn, zog ihre Hand dann rasch zurück. Sie war so froh, dass er hier war, weil sie sich dann nicht so allein fühlte; und sie empfand jetzt eine Art Schuldbewusstsein , weil sie so lange Zeit auf ihn zornig gewesen war. Andererseits fürchtete sie, er könne eine zufällige Geste, ein unabsichtliches Wort falsch auslegen: könnte womöglich glauben, dass sie für ihn noch die gleichen Gefühle hegte wie früher.
Sie wendete sich ab und sah sich in der Höhle um. Das Verbandszeug und die Spritzen befanden sich in ihren Kästen, und die Medikamente waren in Janes Tragetasche. Die verwundeten Guerillas lagen bequem auf Teppichen oder Wolldecken. Sie würden die ganze Nacht über in der Höhle bleiben: Es war zu schwierig, alle hinunter ins Dorf zu transportieren. Sie hatten Wasser und ein bisschen Brot, und zwei oder drei von ihnen waren kräftig genug, um aufzustehen und Tee zu machen. Mousa, Mohammeds einhändiger Sohn, hockte im Höhleneingang und spielte auf dem Boden ein geheimnisvolles Spiel mit dem Messer, das ihm sein Vater geschenkt hatte: Er würde bei den Verwundeten bleiben, für den Fall, dass einer der Männer während der Nacht medizinische Hilfe brauchte – dann sollte der Junge den Hang hinunterlaufen, um Jane zu holen.
Alles war in guter Ordnung. Sie wünschte den Verwundeten eine gute Nacht, strich Mousa über den Kopf und verließ die Höhle. Ellis folgte ihr. Im Abendwind spürte Jane einen Hauch von Kälte. Es war ein erstes Anzeichen für das Ende des Sommers. Sie blickte zu den fernen Gipfeln des Hindukusch, von wo der Winter kommen würde. Im Schein der untergehenden Sonne waren die schneebedeckten Höhen rötlich überhaucht.
Dieses Land war schön; das vergaß man nur allzu leicht, zumal an geschäftigen Tagen.
Ich bin froh, dass ich es gesehen habe, dachte Jane, auch wenn ich jetzt kaum den Tag der Abreise erwarten kann.
Sie stieg neben Ellis den Hang hinab. Mehrmals betrachtete sie ihn von der Seite. Im Schein der Abendsonne wirkte sein Gesicht bronzefarben und gleichsam zerklüftet.
Vermutlich, ging es Jane durch den Kopf, hatte er in der vorhergehenden Nacht kaum geschlafen. »Du siehst müde aus«, sagte sie.
»Es ist lange her, dass ich in einem richtigen Krieg war«, erwiderte er. »Im Frieden wird man weich.«
Seine Stimme klang sachlich-nüchtern. Anders als die afghanischen Männer schien er die Erinnerung an das Gemetzel nicht zu genießen. Von ihm selbst war weiter nichts zu erfahren gewesen, als dass er die Brücke bei Darg gesprengt hatte. Doch einer der Verwundeten hatte Jane dann in allen Einzelheiten erzählt, was geschehen war, und dass die Sprengung der Brücke in genau dem richtigen Zeitpunkt den Kampf zugunsten der Guerillas entschieden hatte.
Unten im Dorf herrschte eine Feststimmung. Statt sich wie sonst auf ihre Höfe zurückzuziehen, standen Männer und Frauen in regem Gespräch gruppenweise beieinander. Die Kinder spielten
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