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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ängstliche ältere Männer spielen. Scher Kador war erst vierzehn. Alle drei konnten glaubwürdig behaupten, über Masud nichts zu wissen. Es war ein wahres Glück, dass sich Mohammed nicht hier befand: Ihm hätten die Russen seine Ahnungslosigkeit nicht so leicht abgenommen. Die Waffen der Guerillas waren geschickt an Stellen versteckt, wo die Russen nicht suchen würden: im Dach eines Aborts, zwischen den Blättern eines Maulbeerbaums, tief in einem Loch am Fluss ufer.
    »Da, sieh mal!« stieß Jane plötzlich hervor. »Der Mann dort vor der Moschee!«
    Ellis spähte hinunter. »Der russische Offizier mit der spitzen Mütze?« »Ja. Ich weiß, wer das ist – ich habe ihn schon mal gesehen. Das ist der Mann, der mit Jean-Pierre in der Steinhütte war. Anatoli.«
    »Sein Kontaktmann«, sagte Ellis tonlos. Angestrengt starrend, versuchte er, die Gesichtszüge des Mannes zu erkennen: Aus dieser Entfernung wirkten sie irgendwie orientalisch. Was für ein Mensch war das? Zu den Treffs mit Jean-Pierre hatte er sich allein in Rebellengebiet gewagt, also musste er Mut besitzen.
    Ellis’ Gedanken wurden jäh unterbrochen, denn aus der Moschee tauchte noch jemand auf, ein bärtiger Mann in einem am Hals offenen weißen Hemd und dunklen Hosen im westlichen Stil.
    »Allmächtiger Gott«, sagte Ellis. »Das ist ja Jean-Pierre.«
    »Oh!« schrie Jane auf.
    »Was, zum Teufel, geht da vor sich?« murmelte Ellis.
    »Ich dachte, ich würde ihn niemals wieder sehen«, sagte Jane.
    Ellis warf ihr einen Blick zu. Ihr Gesicht trug einen sonderbaren Ausdruck. Gleich darauf begriff er, dass es ein Ausdruck der Reue war.
    Er blickte wieder zu der Szene unten im Dorf. Jean-Pierre sprach mit dem russischen Offizier. Er gestikulierte, wies mit der Hand den Berghang hinauf.
    »Er steht so komisch«, sagte Jane. »Er scheint Schmerzen zu haben.«
    »Deutet er zu uns?« fragte Ellis.
    »Er weiß nichts von dieser Stelle - niemand weiß etwas davon. Kann er uns vielleicht sehen?«
    »Nein.«
    »Aber wir können doch ihn sehen«, erwiderte sie zweifelnd.
    »Er steht aufrecht vor einem klaren Hintergrund. Wir liegen flach und spähen aus einem Schlafsack hervor, hinter uns den vielfältig gefleckten Hang. Er kann uns nicht ausmachen - es sei denn, er wüsste genau, wohin er zu blicken hätte.«
    »Dann zeigt seine Hand wohl hinauf zu den Höhlen.«
    »Ja.«
    »Und er sagt den Russen sicher, dass sie dort suchen sollen.«
    »Ja.«
    »Aber das ist ja furchtbar. Wie kann er nur …« Sie brach ab, fuhr dann nach einer Pause fort: »Aber natürlich - das ist genau das, was er die ganze Zeit getan hat, seit er hier ist: Menschen an die Russen zu verraten.«
    Ellis sah, dass Anatoli offenbar in ein Walkie-Talkie sprach. Gleich darauf dröhnte einer der in der Luft befindlichen Kampfhubschrauber den Hang hinauf und über ihre Köpfe hinweg. Oben auf der Hanghöhe landete er, immer noch deutlich zu hören, aber außer Sicht.
    Jean-Pierre und Anatoli entfernten sich von der Moschee. Jean-Pierre humpelte.
    »Er hat tatsächlich Schmerzen«, sagte Ellis. »Ist offenbar verletzt.«
    »Was mag da bloß geschehen sein?« Ellis vermutete, dass Jean-Pierre zusammengeschlagen worden war, doch er sagte es nicht. Was, so fragte er sich, mochte wohl in Jane vorgehen? Dort unten war ihr Mann an der Seite eines KGB-Offiziers, eines Obersten, der Uniform nach zu urteilen. Und hier war sie, in einem › Behelfsbett ‹ mit einem anderen Mann. Empfand sie irgendeine Schuld? Oder Scham? Oder Treulosigkeit? Machte ihr das alles nichts aus? Hasste sie Jean-Pierre oder war sie nur enttäuscht von ihm? Sie hatte ihn geliebt. War von dieser Liebe noch irgendetwas übrig?
    »Was empfindest du jetzt für ihn?« fragte er. Sie musterte Ellis mit einem langen, fast starren Blick, und sekundenlang schien es, als wolle sie wütend werden; doch in Wirklichkeit nahm sie Ellis’ Frage nur überaus ernst. Schließlich sagte sie: »Traurig bin ich!« Sie schaute wieder zum Dorf hinunter.
    Jean-Pierre und Anatoli strebten auf Janes Haus zu, wo auf dem Dach Chantal lag, unter Bettzeug verborgen.
    Jane sagte: »Ich glaube, die suchen nach mir.«
    Ihr Gesicht wirkte sehr angespannt. Furchtsam starrte sie auf die beiden Männer dort unten. Ellis war sicher, dass die Russen nicht mit so vielen Maschinen und Männern gekommen waren, nur um Jane zu finden. Aber er sagte nichts.
    Jean-Pierre und Anatoli durchquerten den Hof des Krämerhauses und traten ein.
    » Dass du mir bloß nicht weinst,

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