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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Tränen.
    Langsam kamen die Leute von Banda aus der Moschee. Sie wirkten verängstigt. Jetzt befand sich auch der letzte Hubschrauber in der Luft und schwenkte südwärts ab. Jane kroch aus dem Schlafsack, schlüpfte in Hosen und Hemd, das sie erst zuknöpfte, als sie schon, rutschend und stolpernd, den Hang hinuntereilte.
    Ellis blickte ihr nach. Er beschloss , ihr nicht sofort zu folgen. Es war besser, ihr Zeit zu lassen, mit Chantal eine Weile allein zu sein.
    Sie verschwand jetzt hinter dem Haus des Mullahs, war nicht mehr zu sehen. Ellis richtete seinen Blick auf das Dorf. Das Leben dort begann sich zu normalisieren. Er konnte laute, erregte Stimmen hören. Die Kinder liefen herum und spielten Helikopter oder zielten mit imaginären Gewehren oder trieben Hühner zum »Verhör«. Die meisten Erwachsenen gingen langsam zu ihren Häusern zurück.
    Ellis erinnerte sich an die sieben verwundeten Guerillas in der Höhlenklinik. An sie und an den Jungen mit der einen Hand. Er beschloss , nach ihnen zu sehen. Nachdem er sich angezogen hatte, rollte er seinen Schlafsack zusammen und begann, den Pfad hinaufzusteigen.
    Allen Winderman fiel ihm ein, der Mann, der ihm im grauen Anzug mit gestreifter Krawatte in einem Washingtoner Restaurant gegenübergesessen hatte, um ihn schließlich, in seinem Salat stochernd, zu fragen: »Und wie stehen die Chancen, dass die Russen unseren Mann fassen könnten?« Die sind gering, hatte Ellis erwidert. Wenn die Russen nicht einmal Masud erwischen können, wie sollten sie dann einen Geheimagentenfassen, der sich mit Masud treffen soll? Jetzt kannte er die Antwort: mit Hilfe von Jean-Pierre. »Verdammt soll er sein, der Mistkerl«, sagte er laut.
     
    Er erreichte die Lichtung. Aus der Höhlenklinik kam kein Geräusch. Hoffentlich, dachte er, haben die Russen die verwundeten Guerillas nicht mitgenommen und auch nicht den Jungen – Mohammed würde untröstlich sein.
    Er betrat die Höhle. Die Sonne stand jetzt hoch genug, um auch in das Innere der Höhle ein wenig Licht fallen
    zu lassen. Die Verletzten waren noch alle dort, lagen still und ruhig.
    »Ist bei euch alles in Ordnung?« fragte Ellis in der Dari-Sprache.
    Er erhielt keine Antwort. Niemand bewegte sich.
    »Oh, Gott«, sagte Ellis tonlos.
    Er kniete neben einem Guerilla nieder und berührte sein bärtiges Gesicht. Der Mann lag in einer Blutlache. Ihn hatte ein Kopfschuss getroffen, aus nächster Nähe.
    Hastig trat Ellis vom einen zum anderen.
    Sie waren alle tot.
    Und tot war auch das Kind.

15
     
     
    IN BLINDER PANIK hetzte Jane durch das Dorf. Sie stieß Menschen beiseite, prallte gegen Mauern, stolperte und stürzte, raffte sich wieder hoch, ununterbrochen schluchzend und keuchend und stöhnend. Es wird ihr schon nichts passiert sein, sagte sie sich wieder und wieder. Und dennoch: Warum ist Chantal nicht aufgewacht? und Was hat Anatoli getan? und Ist mein Baby verletzt?
    Endlich erreichte sie den Hof des Krämerhauses und stieg, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Dach hinauf. Neben der winzigen Matratze fiel sie auf die Knie und zog die Decke zurück. Chantals Augen waren geschlossen. Atmet sie? dachte Jane.
    Atmet sie? Und dann öffnete Chantal die Augen, sah ihre Mutter an und lächelte - zum ersten Mal überhaupt.
    Jane nahm sie auf und drückte sie in überschwänglicher Freude an sich; sie hatte das Gefühl, ihr Herz müsse bersten. Chantal begann zu weinen, erschrocken über die heftige Bewegung, und auch Jane weinte, vor lauter Glück und Erleichterung, weil ihrem kleinen Mädchen nichts passiert war, weil es noch lebte, warm und weich, jetzt laut plärrend - Chantal, die gerade erst gelächelt hatte, zum allerersten Mal.
    Nach einer Weile beruhigte sich Jane, und Chantal, den Wechsel spürend, wurde gleichfalls ruhig. Jane schaukelte das Baby in ihren Armen, tätschelte ihr rhythmisch den Rücken und küsste das sanfte, kahle Köpfchen.
    Irgendwann wurde Jane dann bewusst , dass es auf der Welt auch noch andere Menschen gab, und sie fragte sich, was die Russen in der Moschee mit den Dorfbewohnern gemacht haben mochten und ob alle wohlauf waren. Sie stieg zum Hof hinunter, und dort traf sie Fara.
    Jane betrachtete das Mädchen einen Augenblick; die schweigsame, schüchterne Fara, die so ängstlich war und so leicht zu erschrecken: Wo hatte sie den Mut hergenommen und die Geistesgegenwart, Chantal unter unordentlichem Bettzeug zu verstecken, während die Russen mit ihren Hubschraubern landeten und,

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