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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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möglichst noch Linar zu erreichen. Sie biss die Zähne zusammen und zwang ihre schmerzenden Beine weiter voran.
    Zu ihrer großen Erleichterung fielen ihr die sechs oder sieben Kilometer, die sie noch zurücklegen muss ten , wesentlich leichter, und noch vor Einbruch der Nacht erreichte die kleine Gruppe ihr Ziel. Jane ließ sich unter einem gewaltigen Maulbeerbaum zu Boden sinken und saß eine Weile ganz einfach still. Mohammed zündete ein Feuer an und begann, Tee zu machen.
    Offenbar hatte er den Einheimischen verraten, dass Jane eine westliche Krankenschwester sei, und als sie später Chantal stillte und ihre Windeln wechselte, sammelte sich eine kleine Gruppe von Patienten, die in respektvoller Entfernung wartete. Jane nahm ihre Energie zusammen und untersuchte die Leute. Es gab die üblichen Fälle von Wundinfektionen, Darmparasiten und Bronchialbeschwerden, doch fanden sich hier weniger unterernährte Kinder als im Fünf-Löwen-Tal - vermutlich weil der Krieg diese entlegene Wildnis nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen hatte.
    Als Honorar für die ambulante Behandlung der Einheimischen ergatterte Mohammed ein Huhn, das er im Topf kochte. Jane wäre am liebsten auf der Stelle eingeschlafen, doch sie zwang sich, auf die Mahlzeit zu warten, und als das Huhn fertig war, aß sie mit Heißhunger davon. Das Fleisch war zäh und ohne Geschmack, doch hatte Jane noch nie in ihrem Leben eine solche Gier verspürt.
    Ellis und Jane erhielten in einem der Dorfhäuser ein Zimmer mit einer Matratze für sie beide und einer primitiven hölzernen Wiege für Chantal. Sie vereinten ihre beiden Schlafsäcke zu einem einzigen großen und liebten einander mit wohlig-schlaffer Zärtlichkeit. Danach schlief Ellis sofort ein. Jane lag noch minutenlang wach. Jetzt, da sie sich entspannte, schienen ihre Muskeln stärker zu schmerzen als zuvor. Sie stellte sich vor, in einem richtigen Bett in einem normalen Schlafzimmer zu liegen, während von draußen das Straßenlicht durch die Vorhänge schimmert und irgendwo eine Autotür zuknallt; gleich nebenan gab es ein Badezimmer mit einem Spülklosett und fließendem warmem Wasser, und an der Straßenecke befand sich ein Laden, wo man alles kaufen konnte, was ein Baby brauchte: Windeln, Puder, Baby-Shampoo …
    Wir sind den Russen entkommen, dachte sie, schon halb im Schlaf. Vielleicht schaffen wir’s wirklich bis nach Hause. Vielleicht schaffen wir’s wirklich.
    Jane wurde im selben Augenblick wach wie Ellis: weil sie seine plötzliche Muskelanspannung spürte. Für einen Augenblick lag er stocksteif und ohne zu atmen neben ihr und lauschte auf das Gebell von zwei Hunden. Dann schlüpfte er rasch aus dem Bett.
    Im Zimmer war es stockfinster. Jane hörte, wie er ein Streichholz anriss ; dann flackerte in der Ecke eine Kerze. Jane blickte zu Chantal. Das Baby schlief friedlich. »Was ist denn?« fragte sie Ellis.
    »Weiß ich noch nicht«, erwiderte er mit gedämpfter Stimme. Er zog sich seine Jeans und seine Stiefel an, schlüpfte dann in seine Jacke und ging hinaus.
    Jane, im Nu flüchtig angekleidet, folgte ihm. Im benachbarten Zimmer konnte sie im Mondlicht, das durch die offene Tür fiel, vier Kinder nebeneinander in einem Bett sehen, die sie aus weit aufgerissenen Augen über den Rand der gemeinsamen Schlafdecke hinweg anstarrten. Die Eltern schliefen in einem anderen Zimmer. Ellis stand im Türrahmen und blickte hinaus.
    Jane stellte sich neben ihn. Oben auf dem Abhang gewahrte sie im Mondschein eine einzelne Gestalt, die auf das Haus zugerannt kam.
    »Die Hunde haben ihn gehört«, sagte Ellis leise.
    Plötzlich stand jemand neben ihnen. Jane fuhr zusammen, erkannte dann Mohammed. In seiner Hand blitzte eine Messerklinge.
    Die Gestalt vom Hügel her kam immer näher. Die Art, wie sie sich bewegte, erschien Jane irgendwie vertraut. Plötzlich gab Mohammed eine Art Grunzen von sich und ließ das Messer sinken.
    »Ali Ghanim«, sagte er.
    Jetzt begriff Jane, warum ihr die Bewegungen so vertraut vorgekommen waren: Sie hatten wegen Alis leicht verkrümmter Wirbelsäule etwas unverkennbar Typisches. »Was hat das zu bedeuten?« fragte sie.
    Mohammed trat einige Schritte vor und winkte. Ali sah ihn, winkte zurück und lief dann auf ihn zu. Die beiden Männer umarmten sich.
    Voll Anspannung wartete Jane, bis All wieder zu Atem kam. Schließlich sagte er: »Die Russen sind euch auf der Spur.«
    Jane war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte geglaubt, sie seien den Russen entkommen. Was

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