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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sein, weil ich im Begriff stehe, mein zwei Monate altes Baby in eines der wildesten Gebiete der Welt mitzunehmen. Doch irgendwie wurde diese Besorgnis verdrängt von dem Glücksgefühl, das sie erfüllte. Warum fühle ich mich glücklich? fragte sie sich, und die Antwort, die sie sich selbst gab, lautete: Weil ich mit Ellis zusammen bin.
    Auch Chantal schien glücklich, als habe sie die Zufriedenheit mit der Milch ihrer Mutter in sich eingesaugt. Jane hatte keine Lebensmittel kaufen können, weil im ganzen Ort kein Mensch mehr war. Aber sie hatten etwas Reis und Salz. Den Reis hatten sie gestern gekocht, nicht ohne Schwierigkeiten, denn in dieser Höhe dauerte es eine Ewigkeit, bis das Wasser endlich kochte. Jetzt, zum Frühstück, hatten sie die Überbleibsel: kalten Reis.
    Das dämpfte Janes Euphorie ein wenig.
    Sie aß, während sie Chantal stillte. Dann wusch sie die Kleine und wechselte die Windeln.
    Die Ersatzwindel, gestern im Bach gewaschen, war über Nacht am Feuer getrocknet.
    Jane wickelte Chantal und ging dann mit der schmutzigen Windel zum Bach. Die gesäuberte Windel wollte sie am Gepäck befestigen und hoffen, dass der Wind und die Körperwärme des Pferdes sie trockneten.
    Ellis und Mohammed beluden die alte Stute und brachten sie in Gang. Der heutige Tag würde schwerer werden als der gestrige. Sie mussten den Gebirgszug überqueren, der jahrhundertelang Nuristan vom Rest der Welt mehr oder weniger isoliert hatte. Es galt, den über viertausend Meter hohen Aryu-Paß zu erreichen. Über einen Großteil der Strecke würden sie sich durch Schnee und Eis vorankämpfen müssen, und sie hofften, das nuristanische Dorf Linar zu erreichen. Luftlinie lag es nur fünfzehn Kilometer entfernt. Wenn sie es bis zum späten Nachmittag schafften, konnten sie auf ihre Leistung stolz sein.
    Als sie aufbrachen, stand die Sonne hell am Himmel, doch die Luft war kalt. Jane trug dicke Socken und Handschuhe sowie unter der pelzbesetzten Jacke einen wärmenden Sweater. Sie trug Chantal in der Trageschlinge, zwischen Sweater und Jacke, deren oberste Knöpfe geöffnet blieben, um Luft hereinzulassen.
    Sie ließen die Wiese hinter sich und folgten dem Aryu— Fluss stromaufwärts. Sofort wirkte die Landschaft wieder rau und feindselig. Die kalten Felsen waren ohne jede Vegetation.
    Einmal sah Jane weit in der Ferne auf einem kahlen Hang eine Ansammlung von Nomadenzelten: Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte, dass noch andere Menschen in der Nähe waren, oder ob man sie nicht eher zu fürchten hatte. Das einzige andere Lebewesen, das sie sah, war ein Bartgeier, der im bitterkalten Wind dahinschwebte.
    Einen sichtbaren Pfad gab es nicht. Jane war unendlich froh, dass sie Mohammed bei sich hatten. Zuerst folgte er dem Fluss ; als dieser immer schmaler wurde und sich schließlich ganz verlor, setzte Mohammed seinen Weg mit gleicher Sicherheit fort. Jane fragte ihn, wie er diese Route so genau kennen konnte, und er erklärte ihr, sie sei in Abständen durch Steinhaufen markiert. Jane waren diese bisher nicht aufgefallen. Erst als Mohammed sie ihr zeigte, bemerkte Jane sie.
    Bald bedeckte eine dünne Schneeschicht den Boden, und trotz ihrer dicken Socken und ihrer Stiefel wurden Janes Füße kalt.
    Erstaunlicherweise schlief Chantal die meiste Zeit. Etwa alle zwei Stunden hielt die kleine Gruppe für ein paar Minuten Rast, und Jane nutzte die Gelegenheit, um ihr Baby zu stillen, obwohl ihr in der eiskalten Luft die entblößten Brüste schmerzten. Sie sagte zu Ellis, Chantal verhalte sich nach ihrer Meinung bemerkenswert gut, und er nickte und erwiderte: »Unglaublich. Unglaublich!« Gegen Mittag, in Sichtweite des Aryu-Passes, machten sie eine halbstündige Pause. Jane fühlte sich bereits müde, und ihr Rücken schmerzte. Außerdem hatte sie einen Wolfshunger - das Stück Maulbeeren-und-Walnuß-Kuchen, das es zu Mittag gab, schlang sie geradezu herunter.
    Beim Anblick des steilen Anstiegs zum Pass sank Jane der Mut. Er wirkte wahrhaft furchterregend. Ich werde hier noch ein bisschen länger sitzen bleiben, dachte sie, doch es war bald so kalt, dass sie zu zittern begann. Ellis bemerkte es und erhob sich. »Gehen wir weiter, bevor wir hier erfrieren«, sagte er munter, und Jane dachte: Bei Gott, ich wünschte, du wärst nicht so verdammt vergnügt.
    Es kostete sie eine Menge Willenskraft aufzustehen.
    Ellis sagte: » lass mich Chantal tragen.«
    Dankbar überließ Jane ihm das Baby. Mohammed, Maggie am Zügel,

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