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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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obwohl sie noch schmutzig war, oder aber die Mahlzeit kalt werden lassen. Sie fühlte sich versucht, ihren Körper ins warme Wasser zu tauchen und die Stimme zu ignorieren – es war sowieso unerhört, dass das Hotelpersonal sie einfach »Jane« rief statt »Madame« -, doch die Stimme war sehr beharrlich und klang irgendwie vertraut.
    Und es war auch gar nicht der Zimmer-Service, sondern Ellis, und er rüttelte sie an der Schulter. Mit einem tiefen Gefühl der Enttäuschung wurde ihr bewusst , dass das George V. nur ein Traum war und sie sich in einer kalten Steinhütte in Nuristan befand, eine Million Kilometer von einem heißen Bad entfernt…
    Sie öffnete die Augen und sah Ellis’ Gesicht.
    »Du muss t aufwachen«, sagte er.
    Jane fühlte sich gelähmt vor Lethargie. »Ist es schon Morgen?«
    »Nein, es ist mitten in der Nacht.«
    » Wie viel Uhr?«
    »Halb zwei.«
    »Scheiße.« Sie war ärgerlich auf ihn, weil er sie im Schlaf gestört hatte. »Weshalb hast du mich geweckt?« fragte sie gereizt.
    »Halam ist fort.«
    »Fort?« Sie war noch immer schläfrig und verwirrt. »Wohin? Warum? Kommt er zurück?«
    »Das hat er mir nicht gesagt. Ich wachte auf und sah, dass er verschwunden war.«
    »Glaubst du, dass er uns im Stich gelassen hat?«
    »Ja.«
    »Oh, Gott. Wie sollen wir ohne Führer unseren Weg finden?« Vor Janes innerem Auge stieg ein Schreckensbild auf: sie mit Chantal in den Armen, im Schnee verirrt.
    »Ich fürchte, es kann noch schlimmer kommen«, sagte Ellis.
    »Was meinst du damit?«
    »Du hast gesagt, er würde es uns heimzahlen, dass wir ihn vor dem Mullah gedemütigt haben. Vielleicht ist es ihm Rache genug, uns hier im Stich zu lassen. Ich hoffe es. Leider müssen wir jedoch damit rechnen, dass er in entgegengesetzter Richtung unserer bisherigen Route folgt und dabei auf Russen stößt. Sie werden keine Mühe haben, aus ihm herauszubekommen, wo genau wir uns befanden, als er uns verließ.«
    »Es ist zu viel «, sagte Jane, niedergedrückt von einem Gefühl, das fast an Trauer grenzte.
    Es war, als hätten sich bösartige Geister gegen Ellis und sie und Chantal verschworen.
    »Ich bin zu müde«, fuhr sie fort. »Ich werde hier liegen bleiben und schlafen, bis die Russen kommen und mich gefangen nehmen .«
    Chantal hatte sich leise bewegt, den Kopf hin und her drehend und Sauggeräusche von sich gebend. Dann begann sie zu weinen. Jane setzte sich auf und hob das Baby hoch.
    »Wenn wir sofort aufbrechen, können wir noch entkommen«, sagte Ellis. »Ich werde das Pferd führen, während du sie stillst.«
    »In Ordnung«, erwiderte Jane. Sie legte Chantal an ihre Brust. Ellis beobachtete sie ein oder zwei Sekunden, die Andeutung eines Lächelns in den Mundwinkeln, und ging dann hinaus in die Nacht. Jane dachte unwillkürlich, dass die Flucht sehr viel leichter sein würde und vermutlich erfolgreich, wenn sie Chantal nicht bei sich hätten. Wie mochte Ellis in dieser Hinsicht empfinden? Schließlich war Chantal ja nicht sein Kind, sondern das eines anderen Mannes. Aber das schien ihm nichts auszumachen. Es war, als betrachte er Chantal als einen Teil von ihr, von Jane. Oder hegte er irgendwelche Ressentiments, die er sich nur nicht anmerken ließ?
    Wird er gern Chantals Vater sein? fragte sie sich. Sie betrachtete das winzige Gesicht, und große blaue Augen erwiderten ihren Blick. Musste nicht jeder dieses hilflose kleine Mädchen lieben?
    Plötzlich überfiel sie ein Gefühl völliger Unsicherheit, das sie an allem irre werden ließ.
    Sie wusste nicht, ob sie Ellis wirklich liebte; sie wusste nicht, was sie gegenüber Jean-Pierre empfand, ihrem Mann, der Jagd auf sie machte; sie war sich nicht darüber im klaren, welche Pflicht sie ihrem Kind gegenüber hatte. Die Berge und der Schnee und die Russen, all das jagte ihr Angst ein: Allzu lange schon war sie müde und erschöpft und durchgefroren.
    Automatisch wickelte sie Chantal in die frische, am Feuer getrocknete Windel. Hatte sie die Windeln eigentlich auch am Abend gewechselt? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
    Ihr wollte scheinen, dass sie gleich nach dem Stillen eingeschlafen war. Sie krauste die Stirn, unsicher, ob sie ihr Gedächtnis nicht trog; aber dann entsann sie sich, dass Ellis sie kurz geweckt hatte, damit sie in ihren Schlafsack kroch. Und dann hatte er offenbar die schmutzige Windel am Bach gewaschen und ausgewrungen und dicht ans Feuer getan, auf Gezweig.
    Jane begann zu weinen.
    Sie kam sich sehr töricht vor, konnte aber

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