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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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unerträglich. Widerstrebend überließ sie Chantal Ellis und nahm aus seiner Hand die Zügel, damit bei den Anstrengungen andere Muskelpartien beansprucht wurden. Die elende Stute strauchelte jetzt dauernd. Einmal rutschte sie aufvereistem Fels aus und stürzte. Jane musste erbarmungslos am Zaumzeug zerren, um das Tier wieder auf die Füße zu bekommen. Als die Stute sich schließlich hochstemmte, sah Jane unter ihr im Schnee einen dunklen Flecken Blut. Als sie das Tier genauer betrachtete, entdeckte sie am linken Knie eine Wunde. Doch es schien sich um keine ernste Verletzung zu handeln, und so trieb sie Maggie zum Weitergehen an.
    Da sie jetzt vorausging, musste sie ständig entscheiden, wo sich der Pfad befand, und jedes Mal , wenn sie zögerte, war es wie ein Albtraum : Die Angst, sich zu verirren, saß ihr ständig im Nacken. Manchmal schien sich der Weg zu gabeln, und sie musste sich entscheiden – links oder rechts. Oft ließ sich nicht einmal ahnen, wo der Weg verlief; der Boden vor ihr war von ebener Gleichförmigkeit. Dann folgte sie ihrem Instinkt, bis sie irgendwann wieder auf eine Art Pfad stieß. Einmal versackte sie in einer Schneewehe, aus der sie von Ellis und dem Pferd wieder herausgezogen werden musste .
    Schließlich führte der Pfad zu einem Felssims, das sich eine längere Strecke am Berghang dahinzog. Sie befanden sich jetzt in großer Höhe. Als Jane einen Blick zurückwarf auf das jetzt tief unter ihnen liegende Plateau, empfand sie ein leichtes Schwindelgefühl. Weit vom Pass entfernt konnten sie jetzt bestimmt nicht mehr sein.
    Das Sims war nur wenige Meter breit und schräg und vereist, und an seinem Rand tat sich ein Abgrund auf. Jane setzte ihre Füße noch vorsichtiger als bisher. Trotzdem strauchelte sie mehrmals, und einmal fiel sie auf die Knie und schürfte sich die Haut auf.
    Doch ihr ganzer Körper fühlte sich so geschunden, dass sie die frischen Schmerzen kaum wahrnahm. Maggie schlitterte in einem fort, sodass Jane sich gar nicht mehr umdrehte, wenn sie das Geräusch rutschender Hufe vernahm. Sie zog dann nur härter an den Zügeln. Gern hätte sie das Gepäck, das Maggie trug, anders verteilt, sodass die schweren Stücke weiter nach vorn kamen; es hätte dem Tier beim Aufstieg geholfen. Doch auf dem Sims gab es nicht genügend Platz, um dergleichen vorzunehmen; auch fürchtete Jane, dass sie nicht wieder in Gang kommen würde, wenn sie erst einmal stehen blieb .
    Das Sims wurde schmaler und kurvte um einen Felsvorsprung. Behutsam setzte Jane an der engsten Stelle Fuß vor Fuß. Aber trotz aller Vorsicht - oder vielleicht, weil sie übernervös war – glitt sie aus. Für einen Augenblick stockte ihr Herzschlag, und sie fürchtete, über den Rand in den Abgrund zu stürzen; doch sie landete auf den Knien und stützte sich mit beiden Händen ab. Aus den Augenwinkeln nahm sie die schneebedeckten Hänge wahr, Hunderte von Metern unter sich. Sie fing an zu zittern, gewann jedoch mit großer Anstrengung wieder Kontrolle über sich selbst.
    Langsam stand sie auf und drehte sich um. Sie hatte die Zügel losgelassen, die jetzt über dem Abgrund baumelten. Das Pferd beobachtete sie. Es stand mit steifen Beinen, buchstäblich zitternd vor Furcht. Als Jane die Hand nach dem Zaumzeug streckte, scheute Maggie. »Stopp!« rief Jane und gab ihrer Stimme dann einen ruhigen, beschwichtigenden Klang. »Du brauchst nicht zurückzuscheuen. Komm zu mir. Es ist alles in Ordnung.«
    Von der anderen Seite her tönte Ellis’ Stimme: »Was ist denn?«
    »Nicht so laut«, rief sie leise. »Maggie hat Angst. Halte dich zurück.« Auf fast unerträgliche Weise war ihr bewusst , dass Ellis Chantal trug. Sie fuhr fort, das Pferd mit leisen, kaum mehr als gemurmelten Worten zu beschwichtigen, während sie sich ihm gleichzeitig langsam näherte. Maggie starrte sie an, und aus den geblähten Nüstern stieß der Atem hervor wie Rauch. Jane war jetzt ganz nahe bei dem Pferd, schien das Zaumzeug schon in der Hand zu haben.
    Doch die Stute drehte ihren Kopf fort, ging rückwärts, geriet ins Rutschen, verlor das Gleichgewicht.
    Jane bekam die Zügel zu fassen. Doch der Stute rutschten unter dem Leib die Beine weg, sie kippte nach rechts, die Zügel wurden Jane aus der Hand gerissen, und zu ihrem Entsetzen glitt das Pferd auf seinem Rücken langsam zum Rand des Felsens und stürzte, vor Schrecken wiehernd, darüber hinweg.
    Ellis stand plötzlich bei ihr. »Hör auf!« herrschte er Jane an, und ihr wurde bewusst ,

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