Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
dass sie gellend schrie. Abrupt schloss sie ihren Mund. Ellis kniete nieder und spähte, Chantal noch unter seiner Jacke an die Brust gepresst , über den Felsrand hinweg. Jane unterdrückte ihre Hysterie und kniete sich neben ihn.
    Sie erwartete, Maggies Körper hundert und mehr Meter in der Tiefe zu sehen, eingebettet in Schnee. Doch die Stute befand sich zum Greifen nah. Sie war auf einem Felsvorsprung gelandet, nur anderthalb bis zwei Meter entfernt. Maggie lag auf der Seite, und ihre Beine ragten hinaus in die Leere. »Sie lebt noch!« rief Jane. »Gott sei Dank!«
    »Und unsere Vorräte sind intakt«, stellte Ellis sachlich fest.
    »Aber wie können wir sie wieder hier heraufbekommen?«
    Ellis sah Jane an und schwieg.
    Jane begriff, dass es unmöglich war. »Aber wir können sie doch nicht einfach dort liegen und erfrieren lassen«, sagte sie trotzdem.
    »Es tut mir leid«, sagte Ellis.
    »O Gott, das ist doch nicht zu ertragen!«
    Ellis zog den Reißverschluss seiner wattierten Jacke auf, holte Chantal hervor und gab sie Jane, die das Baby sofort unter ihrer eigenen Jacke barg.
    »Zuerst werde ich den Proviant holen«, sagte er.
    Ganz am Rand legte er sich flach auf den Bauch und drehte sich dann so, dass er die Füße vorstrecken konnte. Loser Schnee stäubte über das liegende Pferd. Langsam ließ sich Ellis tiefer hinab, seine Füße tasteten nach dem unteren Sims. Er berührte festen Boden, ließ seine Ellbogen von der oberen Felskante gleiten und drehte sich vorsichtig herum.
    Wie erstarrt sah Jane ihm zu. Zwischen dem Rumpf des Pferdes und der Felswand war der Platz zu knapp, als dass Ellis seine Füße hätte nebeneinanderstellen können: Er musste sie hintereinander setzen wie eine Gestalt aus einer altägyptischen Wandmalerei.
    Langsam in den Knien einknickend, gelangte er in eine Kauerstellung, und nun streckte er die Hände nach dem Geflecht aus Ledergurten, die den festen Leinensack mit den Notrationen hielten.
    In diesem Augenblick versuchte das Pferd hochzukommen. Es beugte die Vorderknie, zog dann die Vorderbeine seitlich unter die Brust und versuchte, sich in der für Pferde typischen Weise windend, auf die Beine zu gelangen. Es stemmte sich vorne höher und wollte die Hinterbeine, die noch ins Leere ragten, gleichsam zurückschwingen auf den Simsrand.
    Beinahe hätte Maggie es geschafft.
    Doch die Hinterhufe glitten weg, die Stute verlor das Gleichgewicht und kippte hinten wieder auf die Seite. Ellis griff nach dem Proviantsack. Zentimeter für Zentimeter rutschte das Tier weg, mit zuckenden, auskeilenden Hufen. Jane starrte voll Schrecken, weil sie fürchtete, Ellis könnte verletzt werden. Unaufhaltsam glitt das Pferd über die Kante. Ellis riss an dem Proviantsack. Er versuchte nicht länger, die Stute zu retten; er hoffte nur noch, dass die Ledergurte reißen würden, damit ihm wenigstens der Proviantsack blieb. Er hielt ihn so verbissen fest, dass Jane Angst hatte, er werde sich von dem Pferd mit in die Tiefe ziehen lassen. Es rutschte immer schneller, schleppte Ellis bis unmittelbar an die Kante. Im allerletzten Augenblick ließ er den Proviantsack mit einem enttäuschten Schrei los, während Maggie mit einem schrillen Wiehern in den Abgrund stürzte, sich wieder und wieder um sich selbst drehend, samt allem Gepäck, dem Proviant, den Medikamenten, den Schlafsäcken und Chantals Ersatzwindel.
    Jane brach in Tränen aus.
    Wenige Augenblicke später kletterte Ellis vom unteren Sims zu ihr empor. Er legte seine Arme um sie und kniete dort bei ihr, eine Minute lang oder mehr, während sie um das Pferd weinte, um den Proviant und all das andere, das unwiederbringlich verloren war; über ihre schmerzenden Beine und die wie erfrorenen Füße. Dann erhob er sich, half ihr behutsam hoch und sagte: »Wir dürfen nicht aufgeben.«
    »Aber wie können wir denn weiter?« rief sie. »Wir haben nichts zu essen, wir können kein Wasser kochen, wir haben keine Schlafsäcke, keine Medikamente …«
    »Wir haben einander«, sagte er.
    Fest zog sie ihn an sich, als sie daran dachte, wie dicht er an den Abgrund geraten war.
    Wenn wir dies überleben, ging es ihr durch den Kopf, und wenn wir den Russen entkommen und zusammen nach Europa zurückkehren, dann lasse ich ihn nie wieder von mir gehen, das schwöre ich.
    »Geh du voraus«, sagte er, sich sacht aus ihrer Umarmung lösend. »Ich möchte dich sehen können.« Er gab ihr einen leichten Schubs, und automatisch setzte sie sich in Bewegung, schritt weiter

Weitere Kostenlose Bücher