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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nicht aufhören, und fuhr in ihren Verrichtungen fort, während Tränen über ihr Gesicht strömten. Als Ellis zurückkam, war sie gerade dabei, das Baby sorgsam in die Tragschlinge zu legen.
    »Das gottverdammte Pferd wollte auch nicht wach werden«, sagte er und sah dann ihr Gesicht und fragte: »Was ist denn?«
    »Ich weiß nicht, warum ich dich jemals verlassen habe«, sagte sie. »Du bist der beste Mann, dem ich je begegnet bin, und ich habe niemals aufgehört, dich zu lieben. Bitte verzeih mir.«
    Er legte seine Arme um sie und um Chantal. »Tu’s einfach nie wieder, das ist alles«, sagte er.
    Eine Zeit lang standen sie so.
    Schließlich sagte Jane: »Ich bin fertig.«
    »Gut. Dann los.«
    Sie verließen die Hütte und machten sich auf den Weg, hangaufwärts durch immer spärlicher werdenden Wald. Hai am hatte die Laterne mitgenommen, doch der Mond schien, und so konnten sie recht gut sehen. Die Luft war so kalt, dass das Atmen wehtat .
    Jane machte sich Sorgen wegen Chantal. Das Baby befand sich wieder in Janes pelzgefütterter Jacke, und sie hoffte, dass ihr Körper die Luft erwärmte, die Chantal atmete. Konnte ein Baby Schaden nehmen, indem es kalte Luft einatmete? Jane wusste es nicht.
    Vor ihnen lag der Kantiwar-Paß, mit seinen rund fünftausend Metern ein gutes Stück höher als der letzte Pass , der Aryu. Jane wusste , dass ihr Müdigkeit und Kälte mehr zusetzen würden als je zuvor in ihrem Leben, und vielleicht würde sie sich auch mehr fürchten denn je. Doch sie fühlte sich gefasst und mehr als nur das: Sie war in guter Stimmung. Denn tief in ihr war eine Frage beantwortet worden, von ihr selbst. Wenn ich’s lebend überstehe, dachte sie, dann will ich mit Ellis leben. Und eines Tages werde ich ihm erzählen, was den Ausschlag gab: Dass er eine schmutzige Windel wusch.
    Bald ließen sie die Bäume hinter sich und begannen, ein Plateau zu überqueren, das einer Mondlandschaft glich, mit Felsblöcken und Kratern und sonderbar verstreuten Schneeinseln. Sie folgten einer Reihe riesiger flacher Steine, die einen Weg für Riesen zu markieren schienen. Noch immer ging’s bergauf, wenn auch an dieser Stelle nicht mehr ganz so steil, und die Temperatur fiel ständig, indes die weißen Flecken zunahmen, bis der Boden einem unregelmäßigen Schachbrett glich.
    Aufgeregtheit und eine unbestimmte Erwartung trieben Jane etwa eine Stunde lang an, aber als sie dann den Rhythmus gefunden zu haben schien, überwältigte sie wieder Mattigkeit. Sie wollte fragen: Wie weit ist es noch? und: Werden wir bald dort sein?, so wie sie es als Kind getan hatte, auf dem Rücksitz des Wagens, den ihr Vater durch den endlosen rhodesischen Busch lenkte.
    An irgendeinem Punkt auf jenem Hang überquerten sie die Eisgrenze. Jane wurde sich der neuen Gefahr bewusst , als das Pferd ins Rutschen geriet, vor Angst schnaubte, beinahe stürzte, dann das Gleichgewicht wiedergewann. Jetzt bemerkte Jane, dass das Mondlicht von den Felsblöcken reflektierte, als seien sie glasiert; sie ähnelten riesigen Diamanten, kalt und hart und voll Glitzerschein. Janes Stiefel waren rutschfester als Maggies Hufe, dennoch glitt sie wenig später aus und fiel ums Haar hin. Von diesem Augenblick an fürchtete sie zu stürzen und Chantal zu verletzen, und so trat sie bei jedem Schritt übervorsichtig auf, die Nerven zum Zerreißen gespannt.
    Nach gut zwei Stunden erreichten sie die andere Seite des Plateaus und befanden sich nun vor einem Pfad, der steil einen schneebedeckten Berghang hinaufführte. Ellis ging voraus und zog Maggie hinter sich her. Jane folgte in einem Sicherheitsabstand, konnte es doch passieren, dass das Pferd nach hinten wegrutschte. Im Zickzack ging es den Berg hinauf.
    Der Pfad war nicht deutlich markiert. So gingen sie von der Annahme aus, dass er sich dort befand, wo der Boden tiefer war als das angrenzende Gelände. Jane wünschte sich eindeutigere Zeichen: die Überreste eines Feuers, Hühnerknochen von einer Mahlzeit oder wenigstens eine weggeworfene Streichholzschachtel - irgendetwas, das bewies, dass hier einmal andere Menschen entlanggekommen waren. Zwanghaft begann sie sich vorzustellen, sie seien völlig verloren, weitab vom richtigen Pfad, und irrten ziellos durch den endlosen Schnee, und dass es noch tagelang so weitergehen würde, bis sie keinen Proviant mehr hatten und keine Energie und keine Willenskraft, und sie sich niederlegten, alle drei, um gemeinsam in dieser Wildnis zu erfrieren.
    Janes Rücken schmerzte

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