Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Propellerflugzeugs.
    Jane öffnete die Augen. Es war eine Antonow, ein langsam fliegendes Aufklärungsflugzeug, dessen stetes Brummen für gewöhnlich die schnelleren und lauteren Düsenmaschinen eines Bombergeschwaders ankündigte. Jane setzte sich auf und blickte beunruhigt über das Tal.
    Sie befand sich an ihrem geheimen Zufluchtsort, einem breiten, flachen Felsvorsprung in halber Höhe einer Felswand, die sich in leichtem Winkel vorneigte, sodass Jane von oben nicht zu sehen war und dennoch die Sonne genießen konnte. Wer von dort oben herunterklettern wollte, muss te schon ein geübter Bergsteiger sein. Unterhalb ihres Verstecks war der Berg steil und steinig und ohne Vegetation: Niemand hätte sich von dort nähern können, ohne von Jane gehört oder gesehen zu werden. Aber es gab auch für niemanden einen Grund, dort hinaufzusteigen. Jane hatte die Stelle rein zufällig gefunden, weil sie vom Weg abgekommen war und sich verirrt hatte. Die Abgeschiedenheit dieses Plätzchens war für Jane besonders wichtig, denn sie kam hierher, um sich hüllenlos in die Sonne zu legen; und die Afghanen waren prüde wie Nonnen – wäre sie nackt gesehen worden, hätte man sie gelyncht.
     
    Zu ihrer rechten Seite fiel der staubige Hang ziemlich steil ab. Unten an seinem Fuße, wo er in Fluss nähe immer mehr abflachte, befand sich das Dorf Banda, fünfzig oder sechzig Häuser auf unebenem, felsigem Untergrund, auf dem sich nichts anpflanzen ließ. Die Häuser waren aus grauen Steinen und Lehmziegeln gebaut, und jedes besaß ein flaches Dach aus gepresster gepresster Erde. Neben der kleinen Moschee lag eine Reihe Häuser in Trümmern: Vor ein paar Monaten hatte ein russischer Bomber einen Volltreffer erzielt.
    Jane konnte das Dorf deutlich sehen, obwohl es ein ganzes Stück entfernt lag - etwa zwanzig Minuten brauchte man bis dorthin. Ihr Blick glitt über die Dächer und die umfriedeten Höfe und die Wege - auf der Suche nach herumstreunenden Kindern. Zu ihrer Erleichterung konnte sie keine entdecken; Banda lag verödet unter dem heißen, blauen Himmel.
    Zu ihrer Linken wurde das Tal breiter. Die kleinen, steinigen Felder waren von Bombenkratern übersät, und mehrere der uralten Terrassenmauern an den unteren Berghängen waren zerstört. Der Weizen war reif, doch niemand erntete.
    Jenseits der Felder, am Fuß der Felswand auf der anderen Seite des Tals, floss der Fünflöwenfluss s te llenweise tief, stellenweise flach; mal breit, mal schmal; stets schnell und stets steinig. Jane überblickte ihn in seiner ganzen Länge. Da waren keine Frauen, die badeten oder Wäsche wuschen, keine Kinder, die an den flachen Stellen spielten, keine Männer, die Pferde oder Esel durch die Furt führten.
    Jane überlegte, ob sie sich anziehen sollte, um weiter emporzuklettern, zu den Höhlen.
    Dort befanden sich die Dörfler. Die Männer schliefen nach der Nachtarbeit auf den Feldern; die Frauen kochten und versuchten, die Kinder vom Herumstreunen draußen abzuhalten; die Kühe waren zusammengepfercht und die Ziegen angebunden, und die Hunde balgten sich um Abfälle. Wahrscheinlich, dachte Jane, bin ich hier ziemlich sicher, denn die Russen bombardieren die Dörfer und nicht die kahlen Hänge. Aber mit einer
    › verirrten ‹ Bombe muss te man immer rechnen, und eine Höhle bot besseren Schutz, falls es nicht gerade ein Volltreffer war.
    Bevor sie einen Entschluss gefasst hatte, hörte sie das Dröhnen der Düsenbomber. Aus zusammengekniffenen Augen spähte sie gegen die Sonne, um die Flugzeuge am Himmel auszumachen. Ihr Dröhnen erfüllte das Tal, übertönte das Rauschen des Flusses, als sie über Jane dahinzogen, in nordöstlicher Richtung, ziemlich hoch, doch im Sinkflug begriffen: eins, zwei, drei, vier silberne Mörder - der Triumph menschlichen Erfindungsgeistes, eingesetzt, um armen Bauern und Analphabeten den Tod zu bringen und ihre Lehmhütten dem Erdboden gleichzumachen.
    Eine Minute später waren sie verschwunden. Banda würde heute verschont bleiben.
    Langsam verlor sich Janes Anspannung. Die Bombenflugzeuge machten ihr Angst. Den gesamten vergangenen Sommer über war Banda nicht bombardiert worden, und während des ganzen Winters hatte das Tal eine Erholungspause gehabt. Doch im Frühjahr war es dann wieder losgegangen, und Banda war mehrmals getroffen worden, einmal im Zentrum des Dorfes. Seitdem hasste Jane die Bomber.
    Der Mut der Dorfbewohner war bewunderungswürdig. Jede Familie hatte sich dort oben in den Höhlen ein

Weitere Kostenlose Bücher