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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wenn er in der für ihn typischen überdrehten Stimmung war, fiel ihr hilflos in die Arme, wenn er sich deprimiert fühlte, liebte sie einmal pro Woche, wie nur ein erfahrener Liebhaber lieben konnte, und verhielt sich in jeder Hinsicht eher wie ein Geliebter, ein Freund, und ganz und gar nicht wie ein Ehemann.
    Noch immer scheute sie sich, mit ihm über alberne oder gar peinliche Dinge zu sprechen, wie etwa: ob ein Hut ihre Nase länger aussehen ließ und wie wütend sie noch immer darüber war, eine Tracht Prügel bezogen zu haben für die auf dem Wohnzimmerteppich verschüttete rote Tinte, wo doch in Wirklichkeit ihre Schwester Pauline die Übeltäterin gewesen war. Wie gern hätte sie jemanden gefragt: ist unser Eheleben so, wie es sein sollte, oder wird es damit besser werden? Doch ihre Freunde und ihre Familie waren weit weg, und die afghanischen Frauen hätten ihre Erwartungen schändlich gefunden. Sie scheute davor zurück, mit Jean-Pierre über ihre Enttäuschung zu sprechen; teils, weil sich ihr Unbehagen so wenig konkret beschreiben ließ, teils, weil sie sich vor seiner Antwort fürchtete.
    Sie erinnerte sich, dass ihr der Gedanke an ein Baby eigentlich schon viel früher gekommen war, als sie noch Ellis Thaler zum Geliebten gehabt hatte. In jenem Jahr war sie von Paris nach London geflogen, zur Taufe des dritten Kindes ihrer Schwester Pauline; etwas, das sie normalerweise nicht getan hätte, denn sie hasste diese offiziellen Familientreffen. Später hatte sie auch Babysitter gespielt, bei einem Ehepaar in ihrem Haus, einem hysterischen Antiquitätenhändler und seiner aristokratischen Frau, und am meisten hatte sie es genossen, wenn das Baby weinte und sie es auf den Arm nehmen und trösten muss te.
    War ihr irgendwann, und sei es auch nur einen flüchtigen Augenblick lang, klar geworden, dass sie sich im Unterbewusstsein eine Schwangerschaft wünschte? Hatte sie gedacht, ich möchte ein Baby haben, als Jean-Pierre in sie eindrang, sehr langsam und irgendwie graziös, gleich einem Schiff, das in ein Dock gleitet, während sie ihre Arme fester um ihn schlang; oder in der Sekunde der Verzögerung, unmittelbar bevor er kam, wenn er die Augen schloss und sich aus ihrer Tiefe in sich selbst zurückzuziehen schien, ein Raumschiff beim Sturz in das Herz der Sonne; oder hinterher, wenn sie, mit seinem heißen Samen in sich, in wohltuenden Schlaf sank? »War mir das bewusst?« sagte sie laut; doch der Gedanke an Sex hatte sie heiß gemacht, und sie begann sich selbst zu liebkosen - vergessen war die Frage, und ihre Fantasiefantasie zeigte ihr wirbelnde, verwischte Bilder der Leidenschaft.
    Der Lärm der Bomber brachte sie mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Erschrocken starrte sie in den Himmel, als weitere vier Maschinen über das Tal hinwegjagten und wieder verschwanden. Als der Lärm verklang, berührte sie sich wieder, doch sie war nicht mehr in Stimmung. Still lag sie in der Sonne und dachte über ihr Baby nach.
    Jean-Pierre hatte reagiert, als wäre sie mit Absicht schwanger geworden. Sein Zorn war so groß, dass er selbst die Abtreibung vornehmen wollte, und zwar auf der Stelle. Jane fand seine Absicht grauenvoll makaber, und plötzlich war er ihr wie ein Fremder vorgekommen. Am schlimmsten jedoch war das Gefühl, gleichsam verschmäht worden zu sein. Der Gedanke, dass ihr Mann ihr Baby nicht wollte, war zutiefst deprimierend.
    Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als Jean-Pierre sich geweigert hatte, sie anzurühren.
    Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so elend gefühlt. Zum ersten Mal verstand sie, warum manche Menschen an Selbstmord dachten. Der Entzug des körperlichen Kontakts war die schlimmste Folter - sie wünschte sich allen Ernstes, von Jean-Pierre wenigstens verprügelt zu werden, so groß war ihr Bedürfnis nach Berührung. Wenn sie an jene Tage zurückdachte, empfand sie noch immer Zorn auf ihn, obwohl sie ja wusste, dass sie selbst den Anlass dazu gegeben hatte.
    Eines Morgens hatte er dann den Arm um sie gelegt und sich für sein Verhalten entschuldigt. Und obwohl irgendetwas in ihr sagen wollte: »Dass es dir leid tut, genügt nicht, du Schuft!«, sehnte sie sich doch so sehr nach seiner Liebe, dass sie ihm sofort verzieh. Er erklärte dann, dass er fürchte, sie zu verlieren; und wenn sie später Mutter seines Sohnes sei, würde sich dieses Gefühl noch vertiefen, weil er dann Angst haben muss te, beide zu verlieren. Seine Worte hatten sie zu Tränen gerührt, und es war ihr

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