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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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zweites Heim eingerichtet, und alle kletterten Morgen für Morgen den Hang hinauf, um dort den Tag zu verbringen; in der Dämmerung kehrten sie dann zurück, denn nachts wurde nicht bombardiert. Da es gefährlich war, tagsüber auf den Feldern zu arbeiten, taten die Männer es nachts – jedenfalls die älteren, denn die jungen Männer waren meistens fort, schössen am Südende des Tals oder noch weiter entfernt auf Russen. In diesem Sommer waren sämtliche Rebellengebiete schlimmer bombardiert worden denn je zuvor - so jedenfalls hatten es die Guerillas Jean-Pierre berichtet. Falls die Afghanen in anderen Teilen des Landes ebenso anpassungsfähig waren wie diese hier, so würden sie den Krieg noch lange ertragen: indem sie aus den Trümmern eines bombardierten Hauses wichtige Habseligkeiten herausholten, indem sie zerstörte Gemüsegärten neu bepflanzten und die Verwundeten pflegten und die Toten begruben; indem sie den Guerilla-Gruppen immer jüngere Knaben schickten. Diese Menschen, glaubte Jane, würden die Russen niemals besiegen können, es sei denn, sie verwandelten das ganze Land in eine radioaktive Wüste.
    Ob die Rebellen die Russen jemals besiegen konnten – das war eine andere Frage. Sie waren mutig, einfach nicht zu unterdrücken, und sie kontrollierten alle Gebiete außerhalb der Städte. Aber die miteinander rivalisierenden Stämme hassten sich gegenseitig beinahe so sehr, wie sie die fremden Eindringlinge hassten, und ihre Gewehre nützten ihnen nichts gegen Düsenbomber und gepanzerte Hubschrauber.
    Jane verdrängte die Gedanken an den Krieg. Jetzt, in der größten Hitze des Tages, in der Siesta-Zeit, wollte sie nur allein sein und sich entspannen. Sie fasste mit der Hand in den Ziegenfellbeutel mit geklärter Butter und begann, die straffe Haut ihres gewaltigen Bauches einzuölen, wobei sie sich fragte, wie sie nur hatte so närrisch sein können, in Afghanistan schwanger zu werden.
    In ihrem Gepäck hatte sie einen Zweijahresvorrat an Anti-Babypillen, ein Diaphragma und einen ganzen Karton von Sperma tötenden Mitteln gehabt, und trotzdem war es wenige Wochen später bereits passiert: Sie hatte nach ihrer Periode vergessen, wieder die Pille zu nehmen; und dann auch noch vergessen, das Diaphragma einzusetzen - mehrmals. »Wie konntest du bloß so nachlässig sein?« hatte Jean-Pierre geschrien , und sie hatte keine Antwort darauf gewusst.
    Aber jetzt, als sie so in der Sonne lag, glücklich in ihrer Schwangerschaft, mit wunderschön geschwollenen Brüsten und ständigen Rückenschmerzen, begriff sie, dass es eine absichtliche Nachlässigkeit gewesen war, eine Fehlhandlung aus dem Unterbewusstsein heraus. Sie hatte sich ein Baby gewünscht, ganz im Gegensatz zu Jean-Pierre, und so war ihr ihre › Nachlässigkeit ‹ zu Hilfe gekommen.
    Warum habe ich mich so sehr nach einem Baby gesehnt? fragte sie sich, und die Antwort kam gleichsam automatisch: Weil ich mich einsam fühlte.
    »Stimmt das wirklich?« fragte sie laut. Es wäre die reine Ironie. In Paris hatte sie sich nie einsam gefühlt, obwohl sie doch allein gewohnt, für sich allein gesorgt und vor dem Spiegel Selbstgespräche geführt hatte. Aber dann, als sie verheiratet war und jeden Abend und jede Nacht mit ihrem Mann verbrachte und fast den ganzen Tag über an seiner Seite arbeitete, da hatte sie sich isoliert, verängstigt und allein gefühlt.
    Sie hatten in Paris geheiratet, unmittelbar vor der Abreise nach Afghanistan. Das schien ganz einfach Teil des Abenteuers zu sein, irgendwie: eine weitere Herausforderung voll erregender Ungewissheit. Alle hatten gesagt, wie glücklich und schön und mutig und verliebt sie beide seien - und genau so war es auch gewesen.
    Zweifellos hatte sie zuviel erwartet. Sie hatte geglaubt, dass die Liebe und die Intimität zwischen ihr und Jean-Pierre unaufhörlich wachsen würden. Sie hatte gehofft, viel mehr über ihn zu erfahren; wer seine erste Freundin gewesen war, und wovor er wirklich Angst hatte, und ob es stimmte, dass Männer nach dem Pinkeln die Tropfen abschüttelten; sie ihrerseits wollte ihm erzählen, dass ihr Vater ein Alkoholiker gewesen war und dass sie manchmal so einen Wachtraum hatte, in dem sie von einem Neger vergewaltigt wurde, und dass sie manchmal, wenn ihr ängstlich zumute war, am Daumen lutschte.
    Doch Jean-Pierre schien der Ansicht zu sein, dass ihr Verhältnis zueinander genauso bleiben sollte, wie es vor der Ehe gewesen war. Er behandelte sie höflich, brachte sie zum Lachen,

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