Die Löwen
dunkelnde Dorf, während die Männern ihren Feldern zustrebten, um die Ernte einzubringen, solange die Bomber schliefen.
Das Haus, in dem Jane und Jean-Pierre wohnten, gehörte eigentlich dem Dorfkrämer, der die Hoffnung aufgegeben hatte, in Kriegszeiten Geld zu verdienen - es gab fast nichts zu verkaufen -, und der deshalb mit seiner Familie fortgezogen war, nach Pakistan. Der vordere Raum, früher einmal der Laden, hatte Jean-Pierre als Lazarett gedient, bis die heftigen Bombardierungen im Sommer die Dorfbewohner tagsüber in die Höhlen getrieben hatten. Nach hinten zu lagen weitere Räume; der eine war ehedem den Männern und ihren Gästen vorbehalten gewesen, der andere den Frauen und Kindern. Jane und Jean-Pierre benutzten sie als Schlaf-und als Wohnzimmer. Neben dem Haus befand sich ein von einer Lehmmauer umfriedeter Hof, darin eine Feuerstelle und ein kleines Becken, wo Kinder, Wäsche und Geschirr gesäubert wurden. Der Krämer hatte einige selbst gemachte Möbel zurückgelassen, und die Dorfbewohner hatten Jane mehrere wunderschöne Teppiche geliehen. Jane und Jean-Pierre schliefen auf einer Matratze, wie die Afghanen, doch statt Wolldecken benutzten sie einen Daunenschlafsack. Wie die Afghanen rollten sie die Matratze tagsüber zusammen oder legten sie, bei schönem Wetter, zum Lüften aufs Dach. Im Sommer schlief jedermann auf den Dächern.
Janes Abstieg von den Höhlen zum Haus hinunter wirkte sich aus: Ihre Rückenschmerzen wurden immer schlimmer, und als sie endlich unten angelangt war, brach sie beinahe zusammen vor Schmerz und Erschöpfung. Sie hatte einen ungeheuren Druck auf der Blase, doch sie war zu müde, um nach draußen zur Latrine zu gehen, und so benutzte sie den › Not-Topf ‹ hinter dem Wandschirm im Schlafzimmer. Und dabei entdeckte sie einen kleinen, blutstreifigen Flecken im Schritt ihrer Baumwollhosen.
Da ihr die Kraft fehlte, über die Außenleiter aufs Dach zu klettern, um die Matratze zu holen, legte sie sich einfach auf einen Teppich im Schlafzimmer. Die › Rückenschmerzen ‹ kamen in Wellen. Sie legte die Hände auf den Leib, und als die nächste Welle kam, spürte sie, wie sich der kleine Körper bewegte, nach unten presste , wobei die Schmerzen zunahmen und erst wieder nachließen, als auch der Druck nachließ. Kein Zweifel, es waren die ersten Wehen.
Sie hatte Angst. Ihr fiel ein, was ihre Schwester Pauline gesagt hatte, nach ihrer ersten Niederkunft. Jane hatte sie damals besucht, mit einer Flasche Champagner und ein bisschen Marihuana als Mitbringsel. Als sie sich beide völlig gelöst fühlten, hatte Jane gefragt, wie es denn nun wirklich sei mit dem Gebären, und Pauline hatte erwidert: »Als ob du eine Melone scheißt.« Darüber waren sie dann in endloses Gekicher ausgebrochen.
Pauline aber hatte ihr Kind im University College Hospital mitten in London geboren, nicht im Fünf-Löwen-Tal , in einem Haus aus Lehmziegeln.
Jane dachte: Was soll ich nur tun?
Auf keinen Fall in Panik geraten. Ich muss mich mit warmem Wasser und Seife waschen; eine scharfe Schere finden und fünfzehn Minuten lang in Wasser abkochen; saubere Laken finden, auf die ich mich legen kann; Flüssigkeit zu mir nehmen; und mich entspannen.
Doch bevor sie irgendetwas tun konnte, setzten die Wehen wieder ein, und diesmal waren die Schmerzen wirklich schlimm.
Sie Schlossschloss die Augen und versuchte, langsam, tief und regelmäßig zu atmen, wie Jean-Pierre es ihr erklärt hatte; doch da sie am liebsten geheult hätte vor Angst und Schmerz, fiel es ihr besonders schwer, sich dermaßen zu beherrschen.
Die Wehe ging vorüber, und sie fühlte sich völlig erschöpft. Ganz still lag sie, um wieder zu Kräften zu kommen. Ihr wurde klar, dass sie nichts von alldem würde tun können, was sie sich vorgenommen hatte: Allein war es nicht zu schaffen. Sobald sie dazu imstande war, würde sie aufstehen, zum Nachbarhaus gehen und die Frauen bitten, die Hebamme zu holen.
Die nächste Kontraktion kam früher, als sie erwartet hatte, nach nur ein oder zwei Minuten. Als die Schmerzen ihren Höhepunkt erreichten, sagte Jane laut: »Warum erzählt einem keiner, wie weh das tut?«
Sobald sie nachließen, zwang sie sich dazu aufzustehen. Die Angst, ohne jede Hilfe gebären zu müssen, verlieh ihr neue Kraft. Der kurze Weg vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer war eine Qual, doch bei jedem Schritt fühlte sie sich ein wenig kräftiger. Sie hatte es gerade bis in den Hof geschafft, als ein Schwall warmer
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