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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sich zu verteidigen oder zu entschuldigen. »Warum soll ich damit aufhören?« fragte sie.
    »Weil das Schwierigkeiten verursacht«, erwiderte Jean-Pierre mit einem geduldigen Gehabe, das Jane irritierte. »Wenn sich der Mullah von uns zutiefst beleidigt fühlt, müssen wir Afghanistan vielleicht verlassen. Weit schlimmer noch: Es würde die Organisation Médecins pour la Liberté in Verruf bringen, und die Aufständischen könnten weitere Ärzte ablehnen. Dies ist ein heiliger Krieg, wie du weißt - wichtiger als körperliche Gesundheit ist ihnen ihre innere Einstellung. Sie könnten auf den Gedanken kommen, auf uns zu verzichten.«
    Es gab noch andere Organisationen, die idealistische junge Ärzte aus Frankreich nach Afghanistan schickten, doch Jane sprach es nicht aus. Sie sagte lediglich: »Das Risiko müssen wir in Kauf nehmen.«
    »In Kauf nehmen?« sagte er, und sie sah, dass er zornig wurde. »Und weshalb?«
     
    »Weil es im Grunde nur eine Sache von bleibendem Wert gibt, die wir diesen Menschen vermitteln können, und das ist Information, Aufklärung. Es ist ja durchaus in Ordnung, Verwundete zu versorgen und den Leuten Medikamente gegen Bakterien zu geben, aber sie werden ohnehin niemals genügend Chirurgen oder genügend Medikamente haben.
    Doch können wir ihren Gesundheitszustand auf Dauer verbessern, indem wir sie ein paar Sachen lehren: Grundsätzliches über Ernährung, Hygiene und Gesundheitspflege. Damit dürfen wir nicht aufhören, selbst auf die Gefahr hin, Abdullah zu verärgern.«
    »Ich wünschte, du hättest uns diesen Mann nicht zum Feind gemacht.«
    »Er hat mich mit einem Stock geschlagen!« rief Jane wütend. Chantal begann zu weinen.
    Jane zwang sich zur Ruhe. Sie wiegte ihre Tochter einen Augenblick, gab ihr dann die Brust. Begriff Jean-Pierre nicht, wie feige seine Einstellung war? Wie konnte ihn die Drohung einschüchtern, dieses gottverdammte Land verlassen zu müssen? Jane seufzte.
    Chantal drehte ihr Gesicht von Janes Brust und gab unzufriedene Laute von sich. Bevor die Auseinandersetzung weitergehen konnte, erschollen von draußen Rufe.
    Jean-Pierre lauschte mit gekrauster Stirn und erhob sich. Es war eine Männerstimme, die jetzt vom Hof her erklang. Jean-Pierre nahm ein Tuch und legte es Jane um die Schultern. Sie zog es vorn zusammen. Dies war ein Kompromiss : Nach afghanischer Sitte genügte es keinesfalls als ausreichende Bedeckung, doch Jane weigerte sich strikt, wie ein Mensch zweiter Klasse aus dem Zimmer zu huschen, wenn ein Mann das Haus betrat, während sie stillte; wer daran Anstoß nahm, hatte sie erklärt, solle lieber auf einen Besuch beim Doktor verzichten.
    Jean-Pierre rief in der Dari-Sprache: »Herein.« Es war Mohammed Khan. In ihrer augenblicklichen Stimmung hätte Jane ihm am liebsten gesagt, was sie von ihm und den übrigen Männern des Dorfes hielt, doch sie beherrschte sich, als sie den angespannten Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Anders als sonst beachtete er sie kaum. »Der Konvoi ist in einen Hinterhalt geraten«, sagte er ohne Umschweife. »Wir haben siebenundzwanzig Männer verloren - und den ganzen Nachschub.«
    Jane schloss wie im Schmerz die Augen. Mit einem solchen Konvoi war sie seinerzeit ins Fünf-Löwen-Tal , und ohne dass sie es w u ss te, lief es wie ein Film vor ihr ab: ein mondbeschienener Pfad in einem schattigen Tal, eine lange Reihe braunhäutiger Männer und magerer Pferde; das immer lauter werdende Dröhnen von Rotorblättern; aufblitzendes Licht, Granaten, Maschinengewehrfeuer; die Panik, als die Männer am kahlen Hang Deckung suchten; die wirkungslosen Schüsse auf die unverwundbaren Hubschrauber; und am Ende die Rufe der Verwundeten und die Schreie der Sterbenden.
    Plötzlich musste sie an Zahara denken: Ihr Mann war bei diesem Konvoi gewesen. »Was - was ist mit Ahmed Gul?«
    »Er ist zurückgekehrt.« »Oh, Gott sei Dank«, murmelte Jane.
    »Aber er ist verwundet.«
    »Wer aus diesem Dorf ist getötet worden?«
    »Niemand. Banda hat Glück gehabt. Mein Bruder Matullah ist unversehrt und Alischan Karim, der Bruder des Mullahs, auch. Es gibt drei weitere Überlebende – zwei davon verwundet.«
    Jean-Pierre sagte: »Ich komme sofort.« Er ging in den vorderen Raum des Hauses, den früheren Laden, der später als Behandlungszimmer gedient hatte und jetzt das Lager für die Medikamente war.
    Jane legte Chantal in die primitive Wiege in der Ecke und ordnete hastig ihre Bekleidung.
    Jean-Pierre würde wahrscheinlich ihre Hilfe

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