Die Löwen
brauchen - oder aber Zahara ihren Trost.
Mohammed sagte: »Wir haben fast keine Munition.«
Jane empfand kein Bedauern darüber. Sie hasste den Krieg, und sie würde keine Träne vergießen, wenn die Rebellen sich gezwungen sahen, eine Zeit LangZeit-lang mit dem Töten aufzuhören - dem Töten armer, elender, heimwehkranker, siebzehnjähriger russischer Soldaten.
Mohammed fuhr fort: »Wir haben in einem Jahr vier Konvois verloren. Nur drei sind durchgekommen.«
»Wie machen die Russen sie bloß ausfindig?« fragte Jane.
Jean-Pierre, der im anderen Raum das Gespräch verfolgte, sagte durch den offenen Türrahmen: »Sie müssen die Überwachung der Pässe durch tieffliegende Hubschrauber verstärkt haben - vielleicht bedienen sie sich auch der Satellitenfotografie.«
Mohammed schüttelte den Kopf. »Die Paschtunen verraten uns.«
Jane hielt das für möglich. In den Dörfern, durch die der Konvoi zog, hatte man häufig Angst, dies könne einen russischen Angriff zur Folge haben, und es war durchaus denkbar, dass manche der Dörfler sich Sicherheit erkauften, indem sie verrieten, wo die Konvois sich befanden – allerdings war es Jane ein Rätsel, aufweiche Weise diese Leute den Russen die Information zutrugen.
Sie dachte an die Dinge, die der Konvoi hätte mitbringen sollen. Sie selbst hatte um mehr Antibiotika, Nadeln für subkutane Spritzen und viel sterilen Verbandstoff gebeten.
Jean-Pierre hatte eine lange Liste von benötigten Medikamenten aufgestellt. Die Organisation Médecins pour la Liberté hatte einen Verbindungsmann in Peschawar, der Stadt im Nordwesten Pakistans, wo die Guerillas ihre Waffen kauften. Das Notwendigste würde dieser Mann dort sicher auf Lager haben, doch spezielle Medikamente würde er erst aus Westeuropa anfordern müssen. Das war furchtbar! Monate konnten vergehen, bis Ersatz eintraf. In Janes Augen war dieser Verlust viel schlimmer als die verlorene Munition.
Jean-Pierre kam mit seiner Tasche. Alle drei traten hinaus auf den Hof. Es war dunkel.
Jane blieb einen Augenblick stehen, um Fara zu sagen, sie solle Chantals Windeln wechseln; dann eilte sie hinter den beiden Männern her.
Sie holte sie ein, als sie sich der Moschee näherten. Diese Moschee war alles andere als ein eindrucksvolles Gebäude. Sie besaß nichts von jenen wunderschönen Farben oder geheimnisvollen Arabesken, wie man sie aus Prachtbildbänden über islamische Kunst kennt. Es handelte sich um einen nach allen Seiten hin offenen Bau, dessen steinerne Säulen eine Art Schilf-oder Strohdach trugen, und Jane fand, er glich eher einer herausgeputzten Bushaltestelle oder der verfallenen Veranda eines kolonialen Herrenhauses. Mitten hindurch führte ein Bogengang in einen umfriedeten Hof. Dass die Dörfler ihrer Moschee viel Ehrerbietung entgegenbrächten, konnte man nicht sagen. Zwar verrichteten sie dort ihre Gebete, doch sie benutzten sie auch als Versammlungshalle, als Marktplatz, Schule und Gästehaus. Und heute würde sie als Lazarett dienen. Öllampen, an Haken in den Steinsäulen befestigt, erhellten jetzt die verandaartige Moschee. Die Dorfbewohner hatten sich links vom Bogengang versammelt. Sie wirkten bedrückt.
Mehrere Frauen weinten, und man konnte die Stimmen von zwei Männern hören, von denen der eine Fragen stellte, der andere antwortete. Die Menge machte Platz, um Jean-Pierre, Mohammed und Jane durchzulassen.
Die sechs Überlebenden kauerten in einer Gruppe auf dem gestampften Erdboden. Die drei Nichtverwundeten hockten halb auf ihren Hinterteilen. Sie wirkten schmutzig, erschöpft und völlig mutlos. Jane erkannte Matullah Kahn, eine jüngere Version seines Bruders Mohammed; und Alischan Karim, dünner als sein Bruder, der Mullah, aber ebenso böse aussehend. Zwei der Verwundeten saßen auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, der eine mit dreckigem, blutbeflecktem Kopfverband, der andere mit dem Arm in einer behelfsmäßigen Schlinge. Jane kannte keinen der beiden. Automatisch schätzte sie ihre Verwundungen ab: Auf den ersten Blick schienen sie leichterer Natur zu sein.
Der dritte Verwundete, Ahmed Gul, lag auf einer primitiven Bahre aus zwei Stecken und einer Wolldecke. Die Augen hatte er geschlossen, seine Haut war grau. Zahara hockte hinter ihm, seinen Kopf auf ihrem Schoß. Sie streichelte sein Haar und weinte lautlos.
Jean-Pierre rief nach einem Tisch, heißem Wasser und Handtüchern; dann kniete er neben Ahmed nieder. Nach ein paar Sekunden blickte er zu den anderen Guerillas
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