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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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bräunlichen Felswänden durchquerte.
    Szenen aus seiner Kindheit wechselten ab mit albtraumhaften Vorstellungen von dem, was ihn erwartete, falls die Guerillas die Wahrheit über ihn erfuhren. Seine früheste Erinnerung war die an den Prozessprozess gegen Papa und an die wilde Wut über die Ungerechtigkeit, dass er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Zwar konnte Jean-Pierre damals kaum lesen, doch den Namen seines Vaters in den Schlagzeilen der Zeitungen erkannte er. In seinem Alter - er musste etwa vier Jahre alt gewesen sein -
    wusste er nicht, was es bedeutete, ein Held der Résista Résistancerésistance n. Er wusste , dass sein Vater Kommunist war, genauso wie die Freunde seines Vaters, der Priester, der Schuster und der Mann hinter dem Schalter im Postamt des Dorfes, doch glaubte er, dass Papa seiner rötlichen Gesichtsfarbe wegen der Rote Roland genannt wurde. Als sein Vater wegen Verrats zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, hatte man Jean-Pierre erzählt, das habe etwas mit Onkel Abdul zu tun, einem ängstlichen, braunhäutigen Mann, der einige Wochen in ihrem Haus gewohnt hatte und von der FLN war, aber Jean-Pierre wusste nicht, was FLN bedeutete, und glaubte, der Elefant im Zoo sei gemeint. Das einzige, was er begriff und fortan glaubte war: Die Polizei ist grausam, die Richter sind gemein, und die Menschen lassen sich von den Zeitungen zum Narren machen.
    Im Laufe der Jahre verstand er mehr und litt mehr, und seine Erbitterung wuchs. Als er zur Schule ging, sagten die anderen Jungen, sein Vater sei ein Verräter. Er erwiderte, sein Vater hätte tapfer gekämpft und im Krieg sein Leben aufs Spiel gesetzt, doch sie glaubten ihm nicht. Seine Mutter zog mit ihm in ein anderes Dorf, doch die Nachbarn erfuhren, wer sie waren, und verboten ihren Kindern, mit Jean-Pierre zu spielen. Aber das schlimmste waren die Besuche im Gefängnis. Sein Vater veränderte sich sichtlich. Er wurde dünn und sah blassblass und kränklich aus; schlimmer noch war, ihn eingesperrt zu sehen: in trister Sträflingskleidung, ängstlich und entmutigt, sich gleichsam duckend vor den wichtigtuerischen Wärtern mit ihren Knüppeln. Nach einiger Zeit erregte allein schon der Gefängnisgeruch Übelkeit in Jean-Pierre, und sobald sie das Gebäude betraten, musste er sich übergeben; danach nahm ihn seine Mutter nicht mehr mit.
    Erst als sein Vater entlassen wurde, konnte er unbehindert mit ihm sprechen, und jetzt verstand er alles und begriff, dass die Ungerechtigkeit noch viel größer war, als er geglaubt hatte. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich hatten die Kommunisten, ohnehin schon in Zellen organisiert, eine führende Rolle in der Résistancerésistance gespielt. Nach Kriegsende hatte sein Vater den Kampf gegen die Tyrannei der politischen Rechten fortgeführt. Damals war Algerien eine französische Kolonie gewesen. Die Menschen dort wurden unterdrückt und ausgebeutet, doch sie kämpften mutig für ihre Freiheit. Junge Franzosen wurden eingezogen und gezwungen, einen grausamen Krieg gegen Algerien zu führen, in dem die von der französischen Armee verübten Gräuel Gräuelgräuel schen an die Untaten der Nazis erinnerten. Die FLN (für Jean-Pierre für immer verknüpft mit der Vorstellung von einem altersschwachen Elefanten in einem Provinzzoo) war die Front de Liberation Nationale, die nationale Befreiungsfront der Algerier.
    Jean-Pierres Vater gehörte zu den 121 bekannten Leuten, die einen Aufruf unterzeichneten, in dem die Freiheit für Algerien gefordert wurde. Frankreich befand sich im Krieg, und der Aufruf wurde als aufwieglerisch bezeichnet, weil er französische Soldaten zur Desertation ermutigen könne. Doch Papa hatte noch Schlimmeres getan: Er hatte einen Koffer voll Geld, von Franzosen für die FLN gesammelt, über die Grenze in die Schweiz gebracht und bei einer Bank deponiert; und er hatte Onkel Abdul Unterschlupf gewährt, der natürlich gar kein Onkel war, sondern ein Algerier, gesucht vom DST, der Geheimpolizei.
    Ähnliche Dinge habe er auch im Krieg gegen die Nazis getan, hatte er Jean-Pierre erklärt.
    Und er kämpfe noch immer denselben Kampf. Der Feind seien niemals die Deutschen gewesen, genauso wenig, wie der Feind jetzt das französische Volk war: Der Feind, das seien die Kapitalisten, die Reichen und Privilegierten, die herrschende Klasse, der jedes Mittel, egal wie skrupellos, recht war, um ihre Position zu verteidigen. Sie war so mächtig, dass sie die halbe Welt beherrschte -

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