Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
»Du hast kein Recht, meine Wünsche zu ignorieren oder zu missachten «, sagte sie. »Ich möchte in diesem Sommer abreisen.«
    »Die Antwort lautet: nein.«
    Sie beschloss , es mit Argumenten zu versuchen. »Wir sind seit einem Jahr hier. Wir haben etwas bewirkt. Wir haben auch beträchtliche Opfer gebracht, mehr als wir vorhersehen konnten. Haben wir nicht genug getan?«
    »Wir hatten uns auf zwei Jahre geeinigt«, sagte er halsstarrig.
    »Das ist schon lange her, und damals hatten wir Chantal noch nicht.«
    »Dann solltet ihr beide zurückkehren, während ich noch hierbleibe.«
    Jane dachte kurz über den Vorschlag nach. Im Konvoi mit einem Baby nach Pakistan zu reisen, war schwierig und gefährlich. Ohne Ehemann wäre es ein wahrer Albtraumalbtraum .
    Unmöglich jedoch war es nicht. Aber wenn Jean-Pierre hier blieb, konnte er weiterhin Konvois verraten, und alle paar Wochen würden weitere Männer aus dem Tal sterben.
    Und es gab noch einen Grund, warum sie ihn nicht hier lassen konnte: Es würde ihre Ehe zerstören.
    »Nein«, sagte sie, »ich kann nicht allein fortgehen. Du muss t mitkommen.«
    »Das muss ich nicht«, erwiderte er zornig. »Und das werde ich auch nicht.«
    Jetzt musste sie ihn mit dem konfrontieren, was sie wusste . Sie holte tief Luft. »Es wird dir nichts anderes übrig bleiben «, begann sie.
    »Ich bleibe hier«, unterbrach er sie. Er wies mit dem Zeigefinger auf sie, und sie sah ihm in die Augen und erblickte dort etwas, das ihr Angst machte. »Du kannst mich nicht zwingen. Versuch es nicht.« »Aber ich kann -«
    »Ich rate dir, es nicht zu tun«, sagte er, und seine Stimme klang entsetzlich kalt.
    Plötzlich wirkte er wie ein Fremder auf sie, ein Mann, den sie nicht kannte. Sie schwieg ein Weilchen und dachte nach. Vom Dorf her flog eine Taube auf den Felsen zu, auf dem sie saßen, und landete ein kurzes Stück unterhalb ihrer baumelnden Füße. Ich kenne diesen Mann nicht! dachte sie mit einem Gefühl der Panik. Nach einem ganzen Jahr weiß ich immer noch nicht, wer er ist! »Liebst du mich?« fragte sie ihn.
    »Dich zu lieben, heißt ja nicht, dass ich alles tun muss , was du willst.« »Heißt das ja?«
    Er starrte sie an. Sie hielt seinem Blick ruhig stand. Allmählich verschwand der harte, manische Glanz aus seinen Augen, seine Gesichtszüge entspannten sich. Schließlich lächelte er. »Es heißt ja«, erwiderte er. Sie lehnte sich gegen ihn, und er legte wieder den Arm um sie. »Ja, ich liebe dich«, sagte er leise und küsste sie aufs Haar.
    Sie schmiegte eine Wange gegen seine Brust und blickte hinunter zum Fluss . Die Taube, die kurz zuvor vom Dorf gekommen war, hob wieder ab. Es war eine weiße Taube, sowie jene in Janes erfundener Vision. Sie schwebte davon, glitt mühelos dem anderen Ufer des Flusses entgegen. Jane dachte: O Gott, was mache ich jetzt?
     

     
     
    Es war Mohammeds Sohn Mousa - jetzt Linkshand genannt -, der als erster den zurückkehrenden Konvoi erspähte. Er kam auf den Platz vor den Höhlen gerannt und schrie, so laut er konnte: »Sie sind da! Sie sind wieder da!« Niemand brauchte zu fragen, wer sie waren.
    Es war Vormittag, und Jane und Jean-Pierre befanden sich in ihrer Höhlenklinik. Jane beobachtete Jean-Pierre. Ganz kurz huschte ein Ausdruck von Verwunderung über sein Gesicht: Er fragte sich, warum die Russen trotz seiner Informationen den Konvoi nicht angegriffen hatten. Jane kehrte ihm den Rücken zu, damit er nichts von dem Triumphgefühl ahnte, das sie erfüllte. Sie hatte den Männern das Leben gerettet! Jussuf würde heute Abend singen, Scher Kador würde seine Ziegen zählen, und Ali Ghanim würde jedes seiner vierzehn Kinder küssen. Jussuf war einer von Rabias Söhnen; es war ein gutes Gefühl, der alten Hebamme auf diese Weise ein wenig Dank für ihre Hilfe bei der Entbindung abzustatten. All die Mütter und Tochter, die sonst hätten trauern müssen, würden jetzt jubeln.
    Sie fragte sich, was Jean-Pierre wohl empfand. War er wütend oder frustriert oder enttäuscht? Es fiel schwer, sich vorzustellen, wie jemand darüber enttäuscht sein konnte, dass keine Menschen getötet worden waren. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihn, doch sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck. Ich wünschte, ich wüsste , was in ihm vorgeht, dachte sie.
    Ihre Patienten verschwanden innerhalb weniger Minuten: Alle wollten hinunter zum Dorf, um die Heimkehrenden zu begrüßen. »Gehen wir auch hinunter?« fragte Jane.
    »Geh du«, sagte Jean-Pierre. »Wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher